Wer wächst, braucht neue Kleidung

2,6 Millionen Kinder und Jugendliche in Deutschland sind arm: Der Kinderschutzbund mahnt deshalb die überfällige Reform des Kinderzuschlags für Bedürftige an.

Berlin. Das Ausmaß der Kinderarmut in Deutschland ist nach Angaben des Kinderschutzbundes (DKSB) noch dramatischer als bislang in der Öffentlichkeit bekannt. Eigenen Berechnungen zufolge leben mehr als 2,6 Millionen Kinder und Jugendliche im Alter von bis zu 18 Jahren auf Hartz-IV-Niveau. Das heißt, sie sind auf Arbeitslosengeld II, Sozialgeld oder Transfers über das Asylbewerberleistungsgesetz angewiesen. Demnach wären knapp 18 Prozent aller Kinder und Jugendlichen in Deutschland von Armut betroffen. Die Bundesagentur für Arbeit und das Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe hatten die Zahl kürzlich mit 1,93 Millionen angegeben. In dieser Statistik waren aber nur Personen bis zum 15. Lebensjahr erfasst.

Kinderschutzbund-Präsident Heinz Hilgers sprach gestern von einem "Skandal", den die Große Koalition zu verantworten habe. Die Regierung müsse endlich die überfällige Reform des Kinderzuschlages angehen, forderte Hilgers. Der geltende Kinderzuschlag in Höhe von maximal 140 Euro pro Kind wird seit zwei Jahren an erwerbstätige Eltern gezahlt, die zwar ihren eigenen Unterhalt bestreiten können, aufgrund des nur geringen Verdienstes aber nicht den ihrer Kinder. Dadurch soll vermieden werden, dass die Familien ins Hartz-IV-System rutschen. In der Praxis können allerdings nur etwa 124 000 Kinder von der Regelung profitieren.

Kontroverse um Familienzuschlag

Während das Bundesfamilienministerium den Empfängerkreis des Kinderzuschlags durch eine Gesetzesänderung auf mehr als eine halbe Million Kinder erweitern will, plant das Bundesarbeitsministerium eine grundlegende Neuregelung der staatlichen Transfers im Niedriglohnsektor. Damit könnte sich ein eigenständiger Kinderzuschlag erübrigen.

Trotz dieser Kontroverse rechnet Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) damit, dass die Ausweitung des Kinderzuschlags bereits ab Januar 2008 wirksam werden kann. Hilgers bezweifelt das.

Um das Armutsrisiko für den Nachwuchs entscheidend zu reduzieren, ist nach Einschätzung des Kinderschutzbundes eine Aufstockung des Kinderzuschlags um 35 auf 175 Euro erforderlich. Bei Arbeitnehmern, deren Einkommen die jeweilige Bezugsgrenze beim Arbeitslosengeld II übersteigt, sollte der Kinderzuschlag nur um 50 Prozent des das Einkommen übersteigenden Betrages gekürzt werden. Nach geltendem Recht sind es 70 Prozent. Darüber hinaus verlangt der Kinderschutzbund, den Kinderzuschlag für die gesamte Dauer des niedrigen Verdienstes der Eltern zu gewähren. Heute ist der Zuschlag auf drei Jahre befristet.

Der pauschale Regelsatz für Kinder (208 Euro im Monat) entspricht 60 Prozent des Regelsatzes eines Erwachsenen. Hilgers kritisierte diese Festlegung als "respektlos gegenüber den realen Bedürfnissen" eines Kindes. "Sie wachsen, deshalb brauchen sie auch öfter neue Kleidung als Erwachsene", so Hilgers. Konkret nannte er die im Regelsatz enthaltene Pauschale für ein Mittagessen in der Schule. Sie liegt bei einem Euro pro Tag. In Wirklichkeit müssten die Eltern aber rund 2,50 Euro dafür bezahlen.

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