Westerwelle wird auf die Füße gestellt

Der Chef war nicht da, er tourte auch gestern noch durch Lateinamerika, aber daheim ging die von ihm angestoßene Debatte um Hartz IV auch in seiner Abwesenheit weiter. Diesmal weniger emotional. Vor zahlreichen Fachleuten legte die FDP gestern bei einem Symposium in Berlin ein Thesenpapier zur Reform der Grundsicherung vor und erntete dafür Lob sogar von Sozialverbänden.

Berlin. Guido Westerwelle war über den von drei Sozialpolitikern seiner Partei sowie dem Generalsekretär Christian Lindner formulierten Vorschlag vorab informiert und hieß ihn gut. Worte wie "spätrömische Dekadenz", mit denen der FDP-Chef die Debatte eröffnet hatte, tauchen in dem Text allerdings nicht auf.

Vielmehr bemühen sich die Autoren deutlich um Versachlichung. Mit einfühlsamen Bemerkungen zum Schicksal der Arbeitslosigkeit beginnt ihre Betrachtung und endet mit konkreten Reformvorschlägen vor allen Dingen zu den Zuverdienstmöglichkeiten von Hartz-IV-Empfängern.

Die bisherigen Regelungen sorgten für Fehlanreize; es lohne sich praktisch nicht, mehr als 100 Euro dazuzuverdienen, wird festgestellt.

Die FDP hat nun zwei Alternativen erarbeitet, damit der Zuverdienst zu einer "Brücke in den Arbeitsmarkt" wird. Welche von ihnen am Ende in der Koalition vertreten wird, wollen die Liberalen bei ihrem Parteitag im April entscheiden.

Bei der einen Variante bleibt es beim Grundfreibetrag von 100 Euro. Höhere Einnahmen bis 1000 Euro bleiben zu 40 Prozent anrechnungsfrei, bis 1500 Euro zu 15 Prozent. Die Mehrkosten gegenüber jetzt betragen für den Staat rund zehn Prozent.

Die zweite Variante sieht eine Absenkung des Grundfreibetrages auf 40 Euro und die komplette Anrechnung eines jeden dazu verdienten Euro bis 200 Euro vor. Es lohnt sich also praktisch nicht, nur wenig nebenher zu arbeiten. Umso mehr aber, wenn man höhere Verdienste anstrebt. Zwischen 200 und 400 Euro bleiben 40 Prozent bei dem Betreffenden, bis 1000 Euro sogar 50 Prozent. Diese Alternative ist praktisch kostenneutral.

Wohlfahrtsverbände begrüßen neues Konzept



"Außerordentlich begrüßenswert" fand es der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Ulrich Schneider, "dass man endlich mit der FDP diskutieren kann, ohne dass man sich zuerst mit Polemiken auseinandersetzen muss". Schneider hatte bisher zu den schärfsten Kritikern Westerwelles gehört.

Besonders gut fand er an dem FDP-Konzept, dass die Liberalen Ein-Euro-Jobs künftig an Qualifizierungsangebote koppeln wollen.

Einen gemeinwohlorientierten Arbeitsmarkt, wie ihn Nordrhein-Westfalens SPD-Spitzenkandidatin Hannelore Kraft gefordert hat, lehnt die FDP ab. Das sei volkswirtschaftlich schädlich.

Der Bürgermeister des Berliner Armutsbezirks Neukölln, Heinz Buschkowsky (SPD), widersprach energisch. Realistischerweise habe ein großer Teil der Sozialhilfeempfänger seines Bezirks keine Chance, jemals wieder im ersten Arbeitsmarkt eine Stelle zu finden. Viele könnten aber Arbeiten erledigen, für die die Stadt sonst kein Geld habe.

Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn forderte ein kommunales Arbeitsangebot für jeden Hartz-IV-Empfänger. Dann werde sich das Problem der Schwarzarbeit erledigen.

Solche Töne finden sich im neuen Papier der Liberalen nicht. Auch an der bestehenden Rechtslage zu Bekämpfung des Hartz-IV-Missbrauchs will die Partei nichts ändern, sondern sie lediglich "konsequent anwenden", wie es heißt ...

Extra: Außenminister Guido Westerwelle (FDP) steht wegen der Auswahl von Geschäftsleuten, die ihn auf Reisen begleiten, weiter in der Kritik. Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, warf ihm vor, Staats- und Privatgeschäf te nicht sauber zu trennen. Der Sportveranstaltungs-Manager Michael Mronz wies Vorwürfe zurück, er nutze Auslandsreisen mit seinem Lebenspartner Westerwelle für private Geschäfte. Derzeit befindet sich Mronz mit Westerwelle auf einer Südamerika-Reise. Er hatte den Minister zuvor bereits nach China und Japan begleitet und wird im April nach Südafrika mitreisen.

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