Wider besseren Wissens

Kälte herrscht derzeit in Deutschland. Weniger witterungsbedingt, sondern in Form eines Höchstmaßes an sozialer Kälte. Wer nichts hat, ist nichts und darf auch keine Ansprüche anmelden. In Zeiten leerer öffentlicher Kassen wird der Ton rauer, die Anteilnahme geringer, der Blick auf Zahlenwerke starrer.

Doch was einige gesetzliche Krankenkassen derzeit praktizieren, hat nichts mehr mit Kostenbewusstsein zu tun, sondern mit Ausgrenzung unliebsamer Kunden. Wer ab Januar zum Arbeitslosengeld-II-Bezieher wird, dem wird nahe gelegt, die Versicherung zu wechseln. Dabei sind die gesetzlichen Kassen dazu verpflichtet, jeden Versicherten aufzunehmen - unabhängig von Gehalt und sozialem Status. Ein Recht, dass eben Ausgrenzung und sozialer Selektion vorbeugen soll. Ein Recht, das der einzige Grund wäre, an einer solidarisch finanzierten Gesundheitsversorgung festzuhalten. Folglich handeln die Kassen gegen geltendes Recht und besseres Wissen. Dabei geht es ihnen in diesem Jahr so gut wie schon lange nicht mehr. Auf 2,64 Milliarden Euro haben sich die Überschüsse in den ersten neun Monaten angehäuft. Der Grund dafür ist die Gesundheitsreform: Viele Versicherte sind erst spät oder gar nicht in die Arztpraxen gegangen, und neue Zuzahlungsregeln und Praxisgebühr haben mehr Geld in die Kassen der Kassen gespült. Kein Grund also, trotz vorgezogener Beitragssenkungen bei einer bestimmten Klientel plötzlich auf stur zu schalten. Ohnehin haben die gesetzlichen Krankenkassen von Langzeitarbeitslosen eher profitiert. Denn bisher erstatteten die Sozialämter die tatsächlichen Kosten für die medizinische Versorgung quasi eins zu eins. Dass für Arbeitslosengeld-II-Bezieher künftig nur noch ein Pauschalbetrag von 124 Euro pro Monat gezahlt werden soll, mag für die gesetzlichen Krankenkassen ein Einkommensverlust sein, entspricht aber dem vorherrschenden Prinzip von Sparsamkeit und Budgetierung. Ein Grund also, sich nochmal auf den Kern der solidarisch finanzierten Gesundheitsversorgung zurück zu besinnen. s.schwadorf@volksfreund.de

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