Wider den Widerpart am Staatsruder

TRIER. Morgen wird nach mehrmonatiger Umbaupause das Karl-Marx-Haus in Trier wieder eröffnet. Der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering reist aus diesem Anlass eigens zu einem Festakt im Thermenmuseum an.

Dem TV ist es gelungen, den einstigen Hausherrn Karl Marx bei einem konspirativen Treffen in London für ein Exklusiv-Interview zu gewinnen. Der berühmteste Sohn Triers zeigte sich dabei erstaunlich gut über die aktuellen politischen Entwicklungen in Deutschland informiert. Ohne zu zögern, äußerte er sich auch zu so brisanten Fragen wie Müntes Heuschreckenplagen, Bundestagswahl und Steuerreform. Herr Marx, ihr geistiger Enkel Franz Müntefering hat bestimmte Unternehmen mit Heuschreckenplagen verglichen und für viel Aufsehen gesorgt. Manche Kommentatoren haben sogar von einer Renaissance des Marxismus gesprochen…Marx: Statt allgemeiner Redensarten über "die Arbeit" und "die Gesellschaft" zu machen, wäre nachzuweisen, wie in der jetzigen kapitalistischen Gesellschaft endlich die materiellen Bedingungen zu schaffen sind, welche die Arbeiter befähigen, den geschichtlichen Fluch der Armut und Verwahrlosung zu brechen. Das klingt aber martialisch. Wer redet denn heute noch von Klassenkampf?Marx: An die Stelle des existierenden Klassenkampfs sind Zeitungsschreiber-Phrasen getreten, wie die von der "sozialen Frage", deren "Lösung" man "anbahnt". Aber hat Franz Müntefering nicht gerade versucht, wieder zu klareren Parolen zurückzufinden?Marx: Man frevelt, wenn man einerseits Vorstellungen, die zu einer gewissen Zeit einen Sinn hatten, jetzt aber zu veraltetem Phrasenkram geworden sind, unserer Partei wieder als Dogma aufdrängen will, andererseits aber die realistische Auffassung, die der Partei so mühsam beigebracht worden ist, wieder durch ideologische Flausen verdreht. Oh, das klingt ja jetzt fast wie Angela Merkel. Sind Sie auf Ihre alten Tage noch ein Befürworter der großen Koalition geworden?Marx: Wo es politische Parteien gibt, findet jede den Grund eines jeden Übels darin, dass statt ihrer ihr Widerpart sich am Staatsruder befindet. Von der Reform der Gesellschaft lassen sich beide Parteien nicht träumen. Wo Sie gerade von Reform reden: Die SPD hat es ja mit einer großen Steuerreform versucht, um die Hemmnisse für die Wirtschaftsentwicklung beseitigen…Marx: Diese allgemein-ökonomischen Einwürfe gegen die bestehenden Steuern wiederholen sich in allen Ländern! Sie versprechen sich also wenig von einer weiteren Reform?Marx: Die Steuerreform ist das Steckenpferd aller radikalen Bourgeois. Von den mittelalterlichen Spießbürgern bis zu den modernen Free-Tradern dreht sich der Hauptkampf um die Steuern. Letztlich bezweckt jede Reform die Abschaffung von Steuern, die der Entwicklung der Industrie im Weg stehen, oder einen wohlfeileren Staatsaushalt. Von einer Mehrwertsteuererhöhung halten Sie also auch nichts?Marx: Die Steuern sind die wirtschaftliche Grundlage der Regierungsmaschinerie und sonst nichts. Na gut. Aber dass die Globalisierung neue Rezepte nötig macht, werden Sie sicher nicht bestreiten?Marx: Der erste beste Kaufmann weiß, dass der deutsche Handel zugleich ausländischer Handel ist. Der Rahmen des heutigen Nationalstaats steht ökonomisch im Rahmen des Weltmarkts. Also für Sie auch nichts Neues. Empfehlen Sie der SPD trotzdem ein neues Grundsatzprogramm für den Wahlkampf?Marx: Jeder Schritt wirklicher Bewegung ist wichtiger als ein Dutzend Programme. Macht man aber Prinzipienprogramme, so errichtet man vor den Augen aller Welt Marksteine, an denen man gemessen wird. Wenn der Herr Müntefering die Wahlen verliert, ist der Rheinland-Pfälzische Ministerpräsident Beck als Nachfolger im Gespräch. Was halten Sie davon?Marx: Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen. Ich hätte da noch eine Gedächtnisfrage. Können Sie sich noch erinnern, wann und wo Sie folgendes geschrieben haben: "Das kapitalistische System ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden. Konzerne und ähnliche Gebilde, die nicht absolut notwendig sind, sind zu entflechten und in Einzelunternehmen zu überführen."Marx: Junger Mann, wenn Sie meinen, Sie könnten einen alten Herrn vergackeiern, haben Sie sich getäuscht. Das da ist nicht von mir, das stammt aus dem Ahlener Grundsatzprogramm der CDU. Kompliment für Ihr Gedächtnis. Sicher freuen Sie sich, dass Ihr Haus jetzt frisch renoviert worden ist. Wahrscheinlich hätten Sie sich nie ausgemalt, dass Chinesen den Großteil der Besucher ausmachen. Was glauben Sie, was das auf Dauer für eine Wirkung in China hat? Da ist ja wenigstens noch ein bisschen was von Ihrem Kommunismus übrig…Marx: Zur Erhaltung des alten China war völlige Abschottung die Hauptbedingung. Da diese Abschließung ihr Ende gefunden hat, muss der Zerfall so sicher erfolgen wie bei einer im Sarg aufgewahrten Mumie, sobald sie mit frischer Luft in Berührung kommt. Schön, dass man dann wenigstens in Trier noch positiv an Sie zurückdenkt. S Die Fragen stellte TV-Redakteur Dieter Lintz, die Antworten stammen aus Original-Artikeln von Karl Marx für die New-York Daily Tribune, den Vorwärts, die Neue Rheinische Zeitung sowie aus der Kritik des Gothaer Programms der SPD.

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