Widersprüche in der US-Darstellung werfen Fragen auf

Washington · Geht es nach einer Meinungsumfrage, so muss US-Präsident Barack Obama nach dem Tod von Osama bin Laden keine unbequemen Fragen fürchten.

Washington. 79 Prozent der Bürger begrüßen es, dass die geheime Militäraktion in Pakistan mit dem Tod des Terror-Paten endete, nur 14 Prozent halten dies für eine falsche Entscheidung. Doch die in Deutschland vor allem von Juristen geführte Ethikdebatte zu dem Streitpunkt, ob völker- und kriegsrechtlich die Tötung des Gesuchten akzeptabel ist und ob es nicht doch Alternativen gegeben hätte, findet in den USA nicht statt.
Dabei sind die Widersprüche zum Ablauf der spektakulären nächtlichen Mission, die sich in den Darstellungen der US-Regierung finden, durchaus auffällig - und beginnen schon mit der Zielsetzung des Einsatzes, der Geronimo - so der Codename des US-Geheimdienstes für bin Laden - letztlich zur Strecke brachte. Denn in ersten Stellungnahmen kurz nach dem Tod des Al-Kaida-Chefs ließen Regierungsvertreter gegenüber CNN und US-Medien zunächst keine Zweifel, dass der Einsatz als "Kill"-Operation galt: Eine Festnahme sei nicht vorgesehen gewesen, hieß es da.
Stunden später versuchte John Brennan, der wichtigste Sicherheitsberater Obamas, vor dem Pressekorps des Weißen Hauses die Wende. Man habe "sicherlich", so Brennan, auch für die Möglichkeit geplant, dass sich bin Laden ergeben und dann als Gefangener enden würde. "Wenn wir die Möglichkeit gehabt hätten, ihn lebendig zu bekommen, wenn er keine Bedrohung dargestellt hätte, dann wären die Soldaten darauf vorbereitet gewesen." Doch von Anfang an habe man dies für unwahrscheinlich gehalten. Denn: "Unsere Furcht war, dass er sich gegen eine Festnahme wehren würde. Und das ist dann eingetreten."
Barack Obama, der die Aktion im sogenannten Situation Room mit Beratern und Kabinettsmitgliedern live verfolgte, habe zudem bei der Planung darauf bestanden, dass die Sicherheit der Einsatzkräfte Priorität haben müsse. Ungereimtheiten gibt es aber auch zu den Vorgängen, die sich im Schlafzimmer bin Ladens abspielten. Während es zunächst im Weißen Haus lapidar hieß, dieser sei bei einem Feuergefecht getötet worden, ließ Brennan dann durchblicken: Der Top-Terrorist, dessen Schuld an den 9/11-Anschlägen angesichts der zahlreichen Bekennervideos außer Frage steht, habe gar nicht selbst zur Waffe gegriffen. Vielmehr sei zunächst eine der Ehefrauen bin Ladens als "menschlicher Schutzschild" vor ihn gezogen worden, dann sei es zum Feuergefecht der Eliteeinheit mit den Bewachern gekommen. Die Frau starb, und im Verlauf dieser Schießerei wurde auch bin Laden von zwei Kugeln getroffen: in die Brust und in den Kopf direkt über dem linken Auge. In Militärkreisen wurde jetzt bekannt, dass dieses Vorgehen dem von US-Soldaten trainierten sogenannten double tap entspreche: Nach dem ersten Treffer solle der zweite, unbedingt tödliche folgen, um den Gegner auszuschalten. Dieses Vorgehen des Kommandos spricht deshalb auch gegen einen Festnahmeversuch.
Die schnelle Seebestattung des Leichnams bin Ladens auf dem US-Flugzeugträger Carl Vinson schließt zudem die Möglichkeit aus, den Toten durch unabhängige Gerichtsmediziner obduzieren zu lassen - und dürfte Verschwörungstheorien nähren.
Der UN-Sicherheitsrat begrüßte unterdessen in New York in seltener Einhelligkeit ausdrücklich den Tod bin Ladens. Auch hier droht also Obama, der Montagabend bei einem Dinner mit Kongressmitgliedern beider Parteien stehenden Applaus erhielt, kein Ungemach. Am Donnerstag will er sich zudem auf Ground Zero mit Opfer-Angehörigen treffen - und auch die dürften ihm für die Aktion danken. die

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