Wie die Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen

Ohne Erfolg ist am Montag eine neuerliche groß angelegte Suchaktion nach der seit anderthalb Wochen spurlos verschwundenen Studentin Tanja Gräff beendet worden. Indes scheint sich der Verdacht gegen den unbekannten jungen Mann, mit dem die 21-Jährige zuletzt gesehen worden war, zu erhärten.

Trier. Bernd Michels ist die Betroffenheit anzumerken. Als der Chef der "Sonderkommission Fachhochschule" die 164 größtenteils jungen Bereitschaftspolizistinnen und -polizisten gestern Morgen über die Hintergründe der bevorstehenden Suchaktion informiert, ist es mucksmäuschenstill. Nur lautes Vogelgezwitscher stört die Ruhe am Trierer Waldstadion.
Hier irgendwo in der Nähe könnte die junge Frau aus Korlingen (Kreis Trier-Saarburg) vor anderthalb Wochen einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen sein. Seit dem Sommerfest der Fachhochschule wird Tanja Gräff vermisst. Ein Freund sah sie vor einer Bühne gegen vier Uhr in der Früh das letzte Mal - an der Seite eines unbekannten Mannes Mitte 20.

Zu wenige Details für Phantombild

Der junge Mann ist immer noch nicht identifiziert - trotz zahlreicher Aufrufe der Polizei. Etwa ein Meter 80 groß soll er sein, von normaler Figur mit kurzem, dunklen Haar, mehr ist von dem ominösen Begleiter Tanjas nicht bekannt. "Zu wenige Details, um ein Phantombild anfertigen zu können", sagt Polizeisprecherin Monika Peters.

Für Peters´ Kollege Bernd Michels ist dieser junge Mann dennoch der Hauptverdächtige, auch wenn der Soko-Leiter das Wort an diesem Morgen nicht in den Mund nimmt. Dafür macht sich der vor den aus ganz Rheinland-Pfalz zusammengezogenen Bereitschaftspolizisten stehende 60-jährige Chefermittler laut Gedanken, wie der Donnerstagmorgen verlaufen sein könnte, nachdem Tanja das letzte Mal lebend gesehen worden war.

"Vielleicht", sagt Michels, "hat ihr der unbekannte Mann angeboten, sie nach Hause zu fahren." Nicht auszuschließen, dass die beiden "dann zu Fuß in Richtung Wald…". Der erfahrene Kriminalist stockt ein paar Sekunden, um dann fortzufahren. Möglicherweise sei der Unbekannte dann mit der "Situation überfordert" gewesen, habe sich zu "irgendeiner Handlung" hinreißen lassen.
Irgendeine Handlung? Bernd Michels scheint zu merken, dass er die womöglich unangenehme Wahrheit kunstvoll zu umschiffen versucht - auf Kosten der Verständlichkeit. "Ein Gewaltverbrechen", konkretisiert der Soko-Leiter und fügt hinzu: "Dann hatte der Täter keine Zeit, die Leiche groß wegzuschaffen."

Schminkutensilien und Schmuckstücke

Das ist der Grund, warum an diesem Montag das Gelände rund um die an der Bundesstraße 51 gelegene Fachhochschule Schneidershof noch einmal genauestens unter die Lupe genommen wird, obwohl es in den vergangenen anderthalb Wochen schon mehrfach ergebnislos durchsucht worden war. 500 Meter um die FH beträgt der Such-Radius, den die Fahnder festgelegt und in zwei Sektoren unterteilt haben. Die Abschnitte werden von den mit Stocherstäben ausgestatteten Bereitschaftspolizisten Meter für Meter durchsucht. "Je schwieriger und unübersichtlicher das Gelände, desto kürzer der Abstand zwischen den Beamten", erklärt Zugführer Armin Mischler die Vorgehensweise. Unterstützt werden die Beamten von mehreren Hundeführern mit zehn Spür- und vier Leichensuchhunden. Die Suche erstreckte sich vom Sportplatz Sirzenich bis hin zum Ortseingang Trier-Biewer. Auch das Areal oberhalb der FH wurde eingehend von den Kräften durchkämmt.

Am frühen Nachmittag zieht Polizeisprecher Reinhard Rothgerber eine erste Zwischenbilanz. "Wir haben bislang einige Schminkutensilien, ein altes Handy und einige Schmuckstücke gefunden", sagt der Sprecher. Eher unwahrscheinlich, dass einer dieser 20 Gegenstände der vermissten jungen Studentin Tanja Gräff "zuzuordnen" sei, sagt Rothgerber. Trotzdem sollen die gefundenen Sachen jetzt noch kriminaltechnisch untersucht werden.

"Du liegst wach im Bett und denkst darüber nach"

Kurz nach 18 Uhr wird die Suchaktion für diesen Tag endgültig abgebrochen. Die Bereitschaftspolizisten haben noch ein paar weitere Gegenstände gefunden - einen Lippenstift, Kondome, ein paar Kleidungsstücke. Eher unwahrscheinlich, ist zu hören, dass etwas dabei ist, das wirklich von Bedeutung sein könnte.

Doch im Fall Tanja Gräff klammern die Fahnder ihre Hoffnungen längst an jedes noch so kleine Detail. Es erinnert an die Suche nach der berühmten Stecknadel im Heuhaufen. Zwar sind bei der 30-köpfigen Sonderkommission schon mehr als 150 Hinweise eingegangen, denen nun - Hinweis für Hinweis - nachgegangen wird. Doch eine wirklich heiße Spur scheint bislang nicht darunter zu sein.

Beim hoffnungsvollsten und spektakulärsten Einsatz waren vergangenen Mittwoch unterhalb der Fachhochschule ein halber Stadtteil abgeriegelt und mehr als ein dutzende Häuser durchsucht worden. Mehrere Anwohner hatten zuvor von Hilferufen einer Frau berichtet, ohne aber die Rufe genau lokalisieren zu können. Später stellte sich heraus, dass es sich offenbar um ein heftiges Wortgefecht zwischen Mutter und Tochter gehandelt haben könnte.

Bleibt als womöglich einzig wirklich heiße Spur derzeit nur die Suche nach dem unbekannten jungen Mann, mit dem Tanja auf dem Fest zuletzt gesehen worden war. Wenn es gelingt, den etwa 25-Jährigen zu identifizieren, könnte auch der Vermisstenfall Tanja Gräff gelöst sein.

Ein Fall, der längst auch für Soko-Chef Bernd Michels zum Albtraum geworden ist und den Kriminalisten auch nachts nicht mehr loslässt, wie er einräumt: "Da liegst du wach im Bett und denkst darüber nach."

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