Wie gefährdet ist Angela Merkel?

Wer schickt der Kanzlerin explosive Post - und warum tut er es? Eine Spur führt nach Griechenland. Angela Merkel war im Ausland, als der Sprengstoff im Kanzleramt eintraf. Dort herrscht Aufregung, aber es gibt keine Krise.

Berlin. Regierungssprecher Steffen Seibert fasst es knapp zusammen: "Es hat heute im Bundeskanzleramt einen Zwischenfall mit einer verdächtigen Postsendung gegeben." So verdächtig, dass die Regierungszentrale gegen Mittag in helle Aufruhr versetzt worden ist. Der Inhalt des Päckchens sei geeignet gewesen, "Menschen zu verletzen", ergänzt Seibert noch. Und: Die Sendung ist direkt an Angela Merkel adressiert gewesen. Als Seibert vor die Presse tritt, ist es 18.30 Uhr. Da liegt der Bombenalarm schon einige Stunden zurück.

Innenminister: Kein Zusammenhang mit Jemen



Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) sagt später, dass eine Spur nach Griechenland führt. Das Paket habe eine sprengfähige Vorrichtung gleicher Bauart wie bei einer Sendung an die Schweizer Botschaft in Athen und an den französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy enthalten. Es sei vor zwei Tagen per Luftpost von Griechenland nach Deutschland geschickt worden.

De Maizière weist auf die Festnahme zweier Verdächtiger in Griechenland hin. Dazu würde passen, dass seit Tagen vermutlich griechische Autonome mit einer Serie von Briefbomben Athen in Atem halten. Merkel hat sich strikt gegen eine schnelle Hilfe der Euro-Staaten für das vom Bankrott bedrohte Griechenland gewehrt. Laut de Maizière spricht nichts für einen Zusammenhang mit dem Jemen. Aus diesem Land wurden am Wochenende Paketbomben nach Europa und Amerika abgeschickt.

Gegen 13 Uhr wird im Kanzleramt der Alarm ausgelöst. In der Poststelle haben die Bediensteten beim Durchleuchten des von einer Zustellerfirma abgegebenen Pakets Spuren von Sprengstoff entdeckt. Sofort wird die Weitergabe des verdächtigen Päckchens gestoppt. Der Innenschutz des Kanzleramtes sowie die Berliner Polizei werden alarmiert. Experten des Landeskriminalamtes machen daraufhin den Inhalt des Pakets mit einer Wasserkanone "unschädlich". Bei einer Explosion wäre vermutlich ein Feuer entstanden, sagen Sicherheitsexperten. Außerdem hätte die öffnende Person möglicherweise Verletzungen erlitten. Augenscheinlich, verlautete es weiter, habe jemand ein Zeichen setzen und Angst schüren wollen.

Größere Gefahr für das Kanzleramt habe aber nicht bestanden; das Gebäude wurde nicht geräumt. Denn die Poststelle der Regierungszentrale liegt ein wenig abseits des Hauptkomplexes. Bewusst, um die Gefahren durch mögliche Briefbomben zu minimieren. Angela Merkel selbst hat sich tagsüber nicht in Berlin aufgehalten, sie ist zu einem Besuch nach Belgien gereist. Erst am Dienstagabend kehrt sie zurück. Die Ermittlungen hat nun das Bundeskriminalamt übernommen, das dem Vernehmen nach heute neue Erkenntnisse vorlegen wird.

Merkel erhält fast täglich Drohungen



Eine Paketbombe - das ist eine neue Qualität der Bedrohung für die Kanzlerin. In der Regierung will dies auf Anraten der Polizei niemand kommentieren. Es gibt nur den Hinweis, dass die Sicherheitssysteme im Kanzleramt funktioniert hätten. Dass Merkel mit Anfeindungen leben muss, ist nicht neu. Fast täglich erhält sie Drohungen per Post. Und sie gehört zu den staatlichen Repräsentanten, die von den Sicherheitsbehörden als extrem gefährdet eingestuft werden. Deshalb kümmern sich 15 bis 20 Personenschützer im Schichtdienst um Merkel. Nicht immer mit absolutem Erfolg: Kürzlich schaffte es ein verwirrter Mann es bis an die Haustür der Kanzlerin. Trotz des Polizeischutzes in Berlin und vor Merkels Ferienhaus in Brandenburg drang er in ihr privates Umfeld ein. Hintergrund Misslungene Attentate: Nicht zum ersten Mal sind Politiker der Bundesrepublik Ziel eines Anschlags mit einer Brief- oder Paketbombe. Die Attentate gingen jedoch glimpflich aus. Ein Adressat ist der frühere Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) im September 1961. Zwei in München aufgegebene Sprengstoffpäckchen können entschärft werden. 1972 trifft es den damaligen Münchener Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel (SPD). Wegen eines fehlerhaften Zündmechanismus' explodiert die Bombe nicht. Eine an den damaligen Kanzler Helmut Kohl (CDU) adressierte Briefbombe entpuppt sich 1995 als schlechter Scherz. Das explosive Gemisch detoniert in einem Postverteil-amt nahe Berlin. Verletzt wird niemand. Anonyme Bekenner sprechen von einem "Spaß, über dessen Folgen wir uns nicht bewusst waren". 2004 trifft es den damaligen Fraktionschef der Europäischen Volkspartei (EVP), Hans-Gert Pöttering. In seinem Brüsseler Büro explodiert ein Sprengsatz, Pöttering bleibt unverletzt. Im selben Jahr gibt es eine Attentatsserie in Bayern. Adressaten von neun Anschlägen sind unter anderem mehrere Landräte. Eine Sekretärin wird beim Öffnen einer Sendung verletzt. Der 22-jährige Bombenbastler sprengt sich selbst in die Luft. (dpa)

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