Wie kalte Progression das Netto frisst

Michael Glos lässt nicht locker. Vor einem Jahr holte sich der Wirtschaftsminister mit seinem Vorstoß, die Steuern zu senken, im Kabinett eine Abfuhr, bei der SPD wie bei Kanzlerin Angela Merkel. Doch nun hat der CSU-Mann eine wissenschaftliche Studie bestellt, die seine Forderung untermauert.

Berlin. Ergebnis: Die sogenannte kalte Steuerprogression wird schon im nächsten Jahr die Entlastungen von insgesamt drei Steuerreformen der Schröder-Regierung aufgefressen haben. Das 40-Milliarden-Euro-Steuergeschenk der einstigen rot-grünen Regierung ist dann wieder weg. Kalte Progression nennt man die steigende Steuerbelastung aufgrund höherer Einkommen.Die Bürger rutschen bei Lohnerhöhungen schnell in die nächst höhere Progressionszone, denn die jeweiligen Grenzsteuersätze sind festgeschrieben. Vom zusätzlichen Brutto bleibt ihnen also immer weniger netto.

Gering- und Mittelverdiener sind besonders betroffen

Die Auswirkungen dieses Effektes hat das Institut für angewandte Wirtschaftsforschung in Glos' Auftrag detailliert berechnet. Ergebnis: Erzielte der Staat im Veranlagungsjahr 2006, unmittelbar nach der letzten Stufe der Steuerreformen, bei der Einkommensteuer noch ein Aufkommen von insgesamt 202 Milliarden Euro, so werden es im Veranlagungsjahr 2010 schon 243 Milliarden sein. Und das nur teilweise wegen geringerer Arbeitslosigkeit.

Die reinen Belastungen der kalten Progression belaufen sich im Jahr 2011 gegenüber dem Vorjahr auf rund drei Milliarden Euro, im Jahr 2012 auf sechs Milliarden Euro.

Alternativen durchgerechnet

Betroffen sind laut Gutachten vor allem die unteren und mittleren Einkommen. Grund ist der steile Anstieg der Progressionskurve jenseits des Grundfreibetrages von derzeit 7664 Euro. Später flacht die Kurve ab.

Gering- und Mittelverdiener sind vier- bis fünfmal so stark von dem Phänomen betroffen, wie Gutverdiener.

Glos ließ das Institut schon Alternativen durchrechnen, wie die neun Milliarden Euro Progressionsgewinn im Jahr 2012 den Steuerzahlern zurückgegeben werden könnten.

Eine Variante wäre die Anhebung des Freibetrages auf 9145 Euro und eine Abflachung der Progressionskurve in den unteren Bereichen.

Eine andere - nach Schweizer Vorbild - die fortlaufende Anpassung der Steuersätze an die Inflationsrate.

Einen konkreten Vorschlag hat der Minister selbst aber noch nicht vorgelegt, da in der Koalition die Verabredung gilt, zunächst die Neuverschuldung auf null zu führen. Das soll 2011 geschehen sein.

Die CSU hat jedoch Eckpunkte noch für diesen Sommer angekündigt und will damit in den Bundestagswahlkampf ziehen.

Als erste Partei hat unterdessen die FDP ein Konzept für eine Steuerreform präsentiert, das auf dem Parteitag Ende Mai in München verabschiedet werden soll. Es sieht einen dreistufigen Steuertarif vor, beginnend mit zehn Prozent ab 8000 Euro Einkommen über 25 Prozent ab 15 000 Euro und endend mit 35 Prozent ab 40 000 Euro.

FDP-Vorschlag: Bürgergeld als Negativ-Steuer

Bürger, die wenig oder gar nichts verdienen, sollen eine Art Negativ-Steuer bekommen, eine Auszahlung vom Staat, sofern sie arbeitsfähig und -willig sind. Dieses "Bürgergeld" in Höhe von maximal 662 Euro pro Monat soll bisherige Lohnersatzleistungen wie Hartz IV, Kinderzuschlag und Wohngeld zusammenfassen und mit wachsendem Einkommen nach und nach abgeschmolzen werden.

Das schaffe Anreize, Arbeit aufzunehmen, sagte der FDP-Finanzpolitiker Hermann Otto Solms zur Begründung des Konzepts.

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