Wie sich der "eiserne" Otto vergaloppiert

TRIER. Terrorismusbekämpfung in Deutschland stand im Mittelpunkt eines Expertengespräches anlässlich des 80. Geburtstags des ehemaligen Verfassungsgerichtspräsidenten und Innenministers Ernst Benda in Trier.

Der Mann ist geläutert. Keine Spur mehr von einem linken Fundi oder Terroristen-Anwalt. Grüne Ideale sind über die Jahrzehnte vollkommen abhanden gekommen. Mit den grauen Haaren scheint auch die Altersweisheit bei Bundesinnenminister Otto Schily eingekehrt zu sein. Offenbar plagen ihn sogar Selbstzweifel wegen seiner Vergangenheit. "Jugendliche Torheit" und "übertriebene Angstphantasien" hätten ihn damals, 1968, auf die Straße getrieben, um gegen die vom damaligen Bundesinnenminister Benda verabschiedeten Notstandsgesetze der großen Koalition zu demonstrieren. Die Idee der Gesetze habe sich als richtig erwiesen, sagt Schily und beweist damit einmal mehr allen, die bislang vielleicht doch noch nach einer Spur alten Kämpfertums bei ihm suchten, dass aus ihm ein knochenharter, konservativer Politiker geworden ist. "Nur Idioten ändern sich im Leben nicht", sagte er kürzlich der "Zeit". Und weil er heute so sehr davon überzeugt ist, dass die politischen Gegner von einst in Sachen autoritärer Staat alles richtig gemacht haben, merkt er auch gar nicht, wie er sehr sich in seiner Argumentation zum neuen Luftsicherheitsgesetz vergaloppiert. Das seit vergangener Woche gültige Gesetz sei gar nicht in erster Linie auf den Abschuss von entführten Flugzeugen, die von den Terroristen zum Absturz gebracht werden sollen, ausgerichtet. Nur wenn "absolute Gewissheit" bestehe, dass der Tod der Passagiere bereits besiegelt sei, dürften die Bundeswehrpiloten eingreifen. "Ich kann mir aber keine tatsächliche Lage vorstellen, in der man diese Gewissheit hat." Dieser unrealistische Extremfall werde zu Unrecht in den Mittelpunkt der "aufgeregten und zugespitzten" Diskussion gerückt. Nicht, um Anschläge wie die vom 11. September auf das World Trade Center zu verhindern, sondern eher für Irrflieger wie den geistig gestörten Piloten eines Sportflugzeuges über Frankfurt vor zwei Jahren sei das Gesetz gemacht worden. Mit dieser eigenwilligen Auslegung steht Schily aber ziemlich allein. Immerhin kassierte die rot-grüne Bundesregierung dafür heftige Prügel von Bundespräsident Horst Köhler. Zwar unterzeichnete er das Gesetz, hegte aber "erhebliche Zweifel" an der Verfassungsmäßigkeit, weil dadurch Leben zugunsten anderen Lebens geopfert werde - eine solche Abwägung widerspreche dem Grundgesetz. Doch Schily lässt sich davon nicht beeindrucken: "Da irrt sich der Bundespräsident." Auch vom Gegenredner an diesem Tag gibt es Schelte. Schily solle die Leute nicht für dumm verkaufen, natürlich gebe es die "gar nicht so unwahrscheinlichen Fälle", sagt Unions-Fraktionsvize Wolfgang Schäuble. "Für diesen Extremfall brauchen wir klare verfassungsrechtliche Grundlagen." Stimme die Bundesregierung der Verfassungsergänzung zu, wäre die Union mit im Boot. Das heißt für Schäuble: Der Einsatz der Bundeswehr in solchen Fällen ist ein Verteidigungsfall ("Dann ist Leben gegen Leben erlaubt"). "Die Bundeswehr verteidigt Deutschland am Hindukusch, nur nicht im eigenen Land. Absurd." Doch der eisene Otto lässt sich auch dadurch nicht beirren. Es sei völlig unsinnig, die Terrorismusbekämpfung im Inneren militärisch zu lösen. Zwar sieht er die Kampfpiloten, die eine Maschine, die mit absoluter Sicherheit in ein Hochhaus rast, abschießen sollen, nicht als Hilfspolizisten, doch ein Verteidigungsfall ist das für ihn auch nicht. Schily verrennt sich so sehr, dass am Ende Verwirrung bleibt und man sich fragt, warum denn die Bundesregierung das neue Gesetz durchgepeitscht hat und dabei sogar die Zustimmung des Bundesrats aushebelte - "entsetzlich", wie Benda findet - wenn es im Ernstfall nicht angewendet werden kann.

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