Wie viele Steuern dürfen es mehr sein?

BERLIN. Zwei Reizworte befeuerten gestern wieder die Missstimmung in der großen Koalition: "Sanierungsfall" und "Paradigmenwechsel". Konkret gestritten wird vor allem über die Gesundheitsreform.

Der düstere Befund von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Deutschland sei ein "Sanierungsfall", hat die SPD massiv verärgert. Nach Einschätzung ihres Parlamentarischen Geschäftsführers, Olaf Scholz, wird man darüber im Koalitionsausschuss "sicher noch ein, zwei Worte" wechseln. In der internen Runde, die am morgigen Sonntag im Kanzleramt zusammenkommt, dürfte allerdings auch die Union Diskussionsbedarf haben. Stein des Anstoßes ist der von SPD-Generalsekretär Hubertus Heil beschworene "Paradigmenwechsel" bei der künftigen Finanzierung des Gesundheitswesens. Becks Konzept erhitzt die Gemüter

Seit Tagen erhitzt ein Konzept unter Federführung von Parteichef Kurt Beck die Gemüter, wonach die Krankenkassen ab 2008 schrittweise einen Steuerzuschuss zwischen 30 und 45 Milliarden Euro erhalten sollen. Dabei wurde in Berlin gerade erst eine satte Anhebung der Mehrwertsteuer beschlossen. Die Union distanzierte sich prompt von Becks Vorstoß. Saarlands Ministerpräsident Peter Müller (CDU) sprach von einer "Gespensterdebatte", und für den Chef des Sozialausschusses im Bundestag, Gerald Weiß (CDU), ist der SPD-Plan "nicht von dieser Welt". Nach ihrem ursprünglichen Gesundheitskonzept wollte die Union freilich selber kräftig an der Steuerschraube drehen. Das Modell der Kopfpauschale sah einen sozialen Ausgleich für Geringverdiener und eine Umfinanzierung der Kindermitversicherung vor. Für beide Posten wären jährlich bis zu 25 Milliarden Euro aus dem Steuersäckel nötig gewesen. Die Idee ist auch noch nicht ganz vom Tisch. So kann sich der baden-württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) vorstellen, zumindest die Gesundheitsleistungen für Kinder aus dem allgemeinen Haushalt zu finanzieren. Der CDU-Wirtschaftsexperte Laurenz Meyer plädiert ebenfalls für diesen Weg, stellt dabei aber klar: Eine grundsätzliche Erhöhung der Steuer- und Abgabenlast komme "nicht in Frage". Damit rennt er bei SPD-Chef Beck offene Türen ein. Denn nach seinem Konzept wäre die massive Anhebung der Einkommens- und/oder Verbrauchssteuern mit einer Absenkung des Krankenkassenbeitrags von rund 14 auf elf Prozentpunkte verbunden. Eine Umverteilung in dieser Größenordnung ist nach Angaben aus Koalitionskreisen jedoch in der laufenden Wahlperiode bis 2009 ausgeschlossen. Nicht nur, dass die Operation unter dem Strich für viele zu deutlichen Mehrbelastungen führen würde. Die gigantische Umfinanzierung ist auch sonst kaum vermittelbar: Eine Steuererhöhung um bis zu 45 Milliarden Euro entspricht nahezu der Summe, um die die Deutschen in der rot-grünen Regierungsära fiskalisch entlastet wurden. Zwischen 1998 und 2005 sanken der Eingangssteuersatz von 25,9 auf 15 Prozent und der Spitzensteuersatz von 53 auf 42 Prozent. Nach Angaben von Regierungssprecher Thomas Steg erwägt Schwarz-Rot daher auch nur einen "behutsamen Einstieg" in die Steuerfinanzierung des Gesundheitswesens. Noch im Wahlkampf hatte die SPD davon nichts gehalten, nun preist das Gesundheitsministerium die Steuerfinanzierung als Akt der sozialen Gerechtigkeit. Die Erhöhung der Mehrwertsteuer dürfte also nicht die letzte Steueranhebung gewesen sein. Eingeweihte erwarten aber nur eine allgemein formulierte "Perspektive" zur langfristigen Steuerfinanzierung der Gesundheitskosten. Am 2. Juli soll darüber mehr Klarheit herrschen. Dann will die große Koalition ihre Eckpunkte zur Gesundheitsreform festzurren.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort