Wieder zahlt der Bürger

BERLIN. Vielen Versicherten droht im kommenden Jahr eine doppelt so starke Anhebung ihres Krankenkassenbeitrags wie von Schwarz-Rot noch vor wenigen Wochen prognostiziert. Nach Informationen unserer Zeitung geht man inzwischen auch in Regierungskreisen davon aus, dass der durchschnittliche Satz von heute 13,2 Prozent um etwa einen Prozentpunkt steigen wird.

In den Anfang Juli beschlossenen Reform-Eckpunkten ist eine Erhöhung um maximal 0,5 Prozent ausgewiesen. Einschließlich des nur vom Arbeitnehmer zu leistenden Sonderbeitrags in Höhe von 0,9 Prozent würde der Durchschnittssatz im kommenden Jahr demnach mehr als 15 Prozent des Bruttolohns betragen. Eine Ursache der dramatischen Entwicklung ist die schwache Einnahmebasis der Krankenkassen. Während sich die für den Beitrag maßgeblichen Löhne nur im Promille-Bereich nach oben bewegen, steigen die Kosten für Arzneimittel und Krankenhausbehandlung deutlich stärker an. Ein weiterer Grund ist nach Kassenangaben ein "unsaldierter Verschuldungsstand" von 3,7 Milliarden Euro, den die betroffenen Assekuranzen im Interesse gleicher Ausgangsbedingungen spätestens bis zur geplanten Schaffung des Gesundheitsfonds im Jahr 2008 abtragen müssen. Allein unter den 16 Ortskrankenkassen (AOK) gibt es mehrere Assekuranzen, deren Schulden sich auf über eine Milliarde Euro summieren. Zwar hatte der Chef der Barmer Ersatzkasse, Eckart Fiedler, deutlich gemacht, dass die Assekuranzen mit der Anhebung um durchschnittlich einen halben Prozentpunkt auskommen könnten. Diese Einschätzung gilt aber als Einzelmeinung. Die Sparwirkungen der Gesundheitsreform sollen sich 2007 auf rund drei Milliarden Euro belaufen. Der Bundesverband der Arbeitgeber (BDA) hatte schon Ende Juli kritisiert, dass diese Vorhersage "in keiner Weise nachrechenbar belegt" sei. Auch dadurch könnte der Beitrag stärker klettern als prognostiziert. Unterdessen hat sich der Streit über die Reform bei Schwarz-Rot weiter verschärft. Nach Angaben des Magazins "Der Spiegel" macht der Parlamentskreis Mittelstand der Union Front gegen die Eckpunkte. Die Vereinbarung erfülle "keineswegs die Notwendigkeiten und im Vorfeld genährten Hoffnungen auf eine umfassende Strukturreform", zitiert das Blatt aus einem Positionspapier des Kreises, dem 121 der 226 Unionsparlamentarier angehören. Private Risiken extra versichern

Auch der schleswig-holsteinische Wirtschaftsminister Dietrich Austermann (CDU) reagierte: Es lägen Eckpunkte vor, "die keiner versteht", schrieb Austermann in der "Bild am Sonntag". Zur Vermeidung von Beitragsanhebungen sollten Versicherte private Risiken wie Rauchen, Übergewicht und Extremsport extra versichern, schlug Austermann vor. Auch CDU-Wirtschaftsexperte Laurenz Meyer forderte stärkere Belastungen: Die Zusatzprämie, welche jede Kasse erheben muss, wenn sie mit den Mitteln aus dem geplanten Gesundheitsfonds nicht auskommt, dürfe nicht bei einem Prozent des Haushaltseinkommens gedeckelt werden. Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) wies Kritik zurück. Den im Kreis der Genossen attackierten Gesundheitsfonds verteidigte sie als "unbürokratischen" und "Kosten sparenden Weg".

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