Wilde Flucht vor wütenden Wählern

Vor zwei Wochen erreichte eine unscheinbare Mitteilung die Abgeordneten des Bundestages: Mit den Beamtenbezügen stiegen auch die Diäten, denn die seien ja an Richtergehälter gekoppelt. Alles ganz normal, "so transparent wie die Preisetiketten von Aldi", wie SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann sagte. Doch einige Parlamentarier kamen recht verstört aus ihren Wahlkreisen zurück.

Berlin. Die ersten sagten auf Druck der Basis dort schon, dass sie dagegen seien. Regionale Medien spielten das Spiel: Und was sagen die anderen Abgeordneten? Alle im Wahlkreis sagten nun nein. Die Unruhe wurde zur wilden Flucht. Gestern zogen die Fraktionschefs Peter Struck (SPD) und Volker Kauder (Union) die Notbremse. Die geplante Diäten-Erhöhung fällt aus.Der Bundestag kommt nun wieder in eine Situation, die die Große Koalition überwinden wollte: Diäten-Erhöhungen je nach Stimmungslage im Volk statt nach einer klaren Vergleichsgröße, nämlich den Gehältern von obersten Richtern. Doch einen Automatismus gestattet das Bundesverfassungsgericht dem Bundestag nicht, er muss immer wieder über die eigenen Gehälter entscheiden. Da hilft auch keine unabhängige Kommission, wie die FDP jetzt vorschlägt. Mehre Jahre lang hatten die Abgeordneten sich ihre Bezüge nicht erhöht, weil das nie opportun war. Die Diäten waren so immer weiter zurückgefallen. Mit einem Schlag wollte die Koalition das 2007 ändern: Eine zweistufige Erhöhung Anfang 2008 und Anfang 2009 auf das Richterniveau und ab 2010 immer die Tariferhöhungen im öffentlichen Dienst mitmachen, lautete die Lösung des Problems. Beschlossen wurde so eine Anhebung zum 1. Januar 2008 um 330 Euro auf 7339 Euro im Monat und noch einmal um weitere 329 Euro Anfang 2009. Dann wäre man mit den Richtern wieder gleichauf. Nun aber sollte plötzlich auch noch die kräftige Tariferhöhung für den öffentlichen Dienst dazukommen. Insgesamt hätten die Abgeordneten 2010 - wie die Richter - 8159 Euro monatlich gehabt. Doch für sie ist das ein Plus von 1150 Euro. Das war, sahen Kauder und Struck gestern ein, "nicht vermittelbar".

Fein raus sind die Mitglieder der Bundesregierung, inklusive Kanzlerin Angela Merkel. Denn der die Debatte auslösende Kabinettsbeschluss vom 7. Mai, die Tariferhöhung für den öffentlichen Dienst auf die Beamten zu übertragen, gilt. Auch für Minister und Staatssekretäre.

Meinung

Sieg der Vernunft

Von Stefan Vetter

Die hoch umstrittene Anhebung der Diäten wurde von der Großen Koalition abgeblasen. Es war die einzig vernünftige Entscheidung, um die öffentliche Empörung nicht noch weiter anschwellen zu lassen. Wohlgemerkt: Auch Bundstagsabgeordnete haben ein Recht auf ordentliche Bezahlung. Qualifiziertes Personal ist schließlich nicht zum Nulltarif zu haben. Das Grundproblem bleibt allerdings auch nach ihrem Rückzieher bestehen: Die nächste Diskussion über eine Anhebung der Bezüge kommt bestimmt. Die Konsequenz kann nur in einer grundlegenden Strukturreform der Abgeordnetenvergütung bestehen. Stichwort Kostenpauschale. Deutlich höhere Diäten lassen sich nur rechtfertigen, wenn Transparenz bei den Zusatzleistungen einkehrt und Abgeordnete selbst für ihre Altersversorgung aufkommen müssen.

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