Willkommen im Folklorestadl

An den Operetten-Uniformen der stocksteif stolzierenden Herren blitzen blank gewienerte Arsenale von Orden. Gewaltige Hüte beschirmen das lachs-lila-mint gewandete Geschwader der distinguierten Damen.

Majestäten und Hochwohlgeborene, so weit das Auge reicht - es ist Hochzeit bei Königs, genauer: Märchenhochzeit. Wenn Europas Blaublüter sich paaren, juchzt der ganze Kontinent. Millionen bejubeln Felipe und Letizia, Frederik und Mary, Haakon und Mette-Marit. Zwischen Nordkap und Sizilien starrt das republikanische Fernsehvolk verzückt auf die Lustbarkeiten der Royals. Als hätte es ein "Friede den Hütten! Krieg den Palästen!" nie gegeben. Was ist das!? Die Wirtschaft darbt, der Stabilitätspakt schwankt, die Terrorgefahr lähmt. So viel Durcheinander, so viel Irrsinn, so viel Zukunftsangst in der globalisierten Gesellschaft. Nur gut, dass es eine Konstante auf Erden gibt, die inmitten all des Chaos' ein wenig Halt und Orientierung stiftet: die Welt des Adels, schillerndes Gegenbild zum trüben Alltag und Fluchtpunkt der Zu-kurz-Gekommenen. Die Sehnsucht der Normalsterblichen stillen reitende Boten der Moderne: die Massenmedien. Gar köstlich, wie hierzulande die näselnde Eminenz Rolf Seelmann-Eggebert das Geschehen fürs Erste bedichtet - so wie alte Damen Tee trinken: mit vornehm abgespreiztem kleinen Finger. Mit dem Zweiten sieht man keineswegs besser. Die gleichen Bilder, die gleichen Knickse, die gleichen Schranzen. Stunden um Stunden bleiern dahinfließende Hofberichterstattung, alimentiert vom "Zehnten" des Gebührenzahlers. Derweil schmachten die bunten Blätter in allen Regenbogenfarben, und unter den Trockenhauben der Nation träumen sich Krethi und Plethi weg aus der Tristesse des eigenen Daseins. Im Gefolge von Soraya, Gracia Patrizia und Lady Di dreht sich gegenwärtig alles um Europas Traumprinzen, die gleich reihenweise Bürgerstöchter zum Altar führen. Selbst ernsthafte Medien bangen: Kann jetzt jeder König werden? Aufwachen, Leute! Die Monarchie vereint sich mit dem Mittelstand, und was sich an ungezählten Exempeln von Ehebruch, Skandal und Schicksalsschlag längst andeutete, ist endgültig gewiss: Könige sind auch nur Menschen. Sie spielen lustig ihre Rolle in der Spaßgesellschaft. Die Stunde der Komödianten: Gebt dem Volke, was des Volkes ist - willkommen im Folklorestadl. p.reinhart@volksfreund.de

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