Willys Töne

TRIER. Der Kanzler rief – und die Massen kamen. Reichlich Volk, darunter viele Jungwähler, bevölkerten Portavorplatz und Simeonstraße bei Gerhard Schröders Wahlkampf-Auftritt. Sie sahen einen Titelverteidiger, der allenfalls stimmlich angeschlagen wirkte.

Donnerstag, 16 Uhr. Ein enormer Auftrieb schwarzbefrackter Security-Sheriffs verwandelt den Porta-Platz in einen Hochsicherheitstrakt. Nur handverlesene Gäste von der schriftlichen Anmeldeliste, meist verdiente Genossen, dürfen nach peinlich genauer Körpervisitation auf den Platz. Das gemeine Volk versammelt sich in der Simeonstraße vor einer monumentalen Leinwand, die Passanten und Einkäufer bis hinüber zum Hauptmarkt Appetit auf das Spektakel macht. "Bei der Merkel durfte jeder bis vorne hin", grummelt einer, der gerne vergleichen will. Aber zwischen Kanzlern und Kandidat(inn)en gibt es halt ein paar kleine, aber feine Unterschiede.Nur der schrille Moderator ist offensichtlich bei allen Großveranstaltungen unvermeidlich. "Ladies and Gentlemen, das war der Show-Act", verabschiedet der Einpeitscher auf der Bühne die Vorgruppe in feinstem Denglisch. Dafür fragt er anschließend den lokalen Abgeordneten Karl Diller, was er denn in seiner Amtszeit so "für die Pfalz getan habe".

Kurz danach erscheint Gerhard Schröder aus dem Simeonstift, das Bad in der Menge fällt kurz und knapp aus. "Ein Drittel der Trierer Bevölkerung ist gekommen, um sie zu sehen", jauchzt der Ansager. Hoffentlich können die Politiker besser mit Zahlen umgehen als ihre Verkäufer.

Aber immerhin, 4500 werden es sein, jedenfalls um die Hälfte mehr als bei Angela Merkel. Von der Porta bis zur alten Sparkasse ist die Sim gefüllt, erstaunlich viele junge Gesichter. Drei einsame Jung-Unionisten halten unbehelligt Plakate mit der Aufschrift "Fünf Millionen Arbeitslose - Aufwärts mit rot-grün" hoch, ansonsten ist von Protesten nichts zu hören oder zu sehen. Vereinzelt sieht man Plakate mit "Der Mut ist links", die Eifel-Abgeordnete Leonhard hat sogar ein paar eigene Fans organisiert, die mit "Mach's nochmal, Elke"-Transparenten winken.

Während der Rede von Kurt Beck steht Gerhard Schröder aufrecht, fast regungslos an seinem Tisch. Immer wieder lässt er seinen Blick ins Publikum schweifen, fast, als wolle er noch ein letztes Mal den großen Auftritt an dieser Stelle genießen. Wenn es gut läuft, verhindert er am Sonntag die schwarz-gelbe Mehrheit, schafft es, dass eine Regierungsbildung ohne die SPD nicht möglich ist. Aber egal ob große Koalition, rot-rot-grüne Ampel, Tolerierung: Nach menschlichem Ermessen wird der Kanzler nicht mehr Schröder heißen. Auch wenn, wie er betont, nicht die Demoskopen, sondern die Wähler letztlich entscheiden. Gerhard Schröder ist zu sehr Politprofi, um seine Perspektiven nicht richtig einzuschätzen. Aber man merkt es ihm keine Sekunde an. Mit dem Rücken zur Wand kämpft er offenkundig am besten, ja geradezu lustvoll. Wenn man bei seinen staatsmännischen Amtsreden bisweilen den rhetorischen Glanz vermisst: Hier fehlt er nicht. Ohne Jacke steht er am Pult, ringt die Arme, ballt die Fäuste, ruft beschwörend ins Publikum.

Seine Stimme ist derart heiser, dass altbewährte Genossen sich mit wohligem Schauer an Willy Brandt erinnert fühlen, zumindest in den langsamen Passagen. Und auch inhaltlich lässt Schröder den Willy raus: Was 1998 und 2002 noch nach großem Innovator und Modernisierer klang, hat anno 2005 wieder den O-Ton Arbeiterführer angenommen.

Die personifizierte Schutzmacht des kleinen Mannes steht da auf der Bühne, und was Schröder zu Kündigungsschutz, sozialer Verantwortung der Unternehmen und zur Rente sagt, klingt wie das frisch wieder aufgefundene Manuskript einer alten Lafontaine-Rede aus den Zeiten, da Rot-Grün sich aufmachte, die Republik zu erobern.

Da freuen sich die Genossen auf dem Platz, und auch von den Leuten auf der Straße klingt öfter mal Beifall herüber. Der Begriff "CDU" oder gar der Name eines ihrer Protagonisten fällt nicht ein einziges Mal. "Die andere Seite", sagt Schröder, wenn er sich mit Merkel und Co. auseinander setzt. 30 Minuten redet der Kanzler, dann ist offenkundig alles gesagt. Und es wartet noch ein Termin in Nürnberg am späteren Abend. Da wird er wohl noch ein bisschen mehr nach Willy Brandt klingen.

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