Winkekatze und zitronengelber Blazer

Berlin · Wirtschaftliche Aspekte haben die deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen geprägt. Deutsche Unternehmen unterzeichneten am Dienstag milliardenschwere Abkommen mit Partnern aus Fernost.

Berlin. Der Kopfhörer will partout nicht halten. Ausgerechnet, als Bundeskanzlerin Angela Merkel anmerkt, sie habe "erfreut zur Kenntnis genommen die Freilassung ...", rutscht er dem chinesischen Ministerpräsidenten Wen Jiabao vom Ohr. Merkel stockt, gleich mehrfach scheitern die Versuche, die Hörhilfe wieder anzustecken. Als ob es ein Zeichen wäre: Die eine möchte jetzt die Menschenrechte wenigstens deutlich erwähnen, der andere hört am liebsten nicht hin.
Es dauert ein paar Minuten, bis Wen ein Ersatzgerät für die Simultan-Übersetzung erhält, so dass Merkel ihm und der Öffentlichkeit dann doch klarmachen kann, dass sie auf ein transparentes Verfahren für den freigelassenen Künstler Ai Weiwei und andere Regimekritiker in China hofft. Auch mahnt sie mehr Rechtsstaatlichkeit an. Eine Reaktion des Chinesen bleibt freilich aus. Wären da nicht noch die Satiriker der NDR-Sendung "extra 3", die Wen am Ende der Pressekonferenz im Kanzleramt vergeblich eine Winkekatze mit Knüppel überreichen wollen, würden die ersten deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen vor allem das bleiben, als was sie geplant gewesen sind: ein besonders hochrangiges Wirtschaftstreffen.
Im Berliner Regierungsviertel dominiert deshalb die Farbe Schwarz. Dunkel sind die Anzüge der 300 Delegationsteilnehmer, weil Geschäfte in Milliardenhöhe zu machen sind. Schwarz sind die Limousinen, die sich den ganzen Vormittag durch die Straßen rund um das Kanzleramt schlängeln. 16 Minister hat Wen Jiabao mit an die Spree gebracht, die mit ihren deutschen Pendants verhandeln. 14 Abkommen werden im Kanzleramt unterzeichnet. Das hat es in der Fülle bislang erst selten gegeben.
Wen: Überall ist es fröhlich


Inmitten all der dunklen Anzüge sorgt einzig Angela Merkel für einen Lichtblick: Sie trägt einen zitronengelben Blazer. Gelb - das symbolisiert im asiatischen Reich das Sonnenlicht und die Glückseligkeit. Wen Jiabao war schon fünfmal in Deutschland. Dass Merkel aber die erste Megakonsultation mit den Chinesen besonders glückselig macht, signalisiert sie nicht nur mit ihrem Blazer.
Eine "hohe Intensität" hätten die Beratungen gehabt, "ein vielfaches Band" sei geknüpft, sogar ein "neues Kapitel" in den Beziehungen aufgeschlagen worden. Die Kanzlerin spart nicht mit Superlativen. Aus gutem Grund, denn auf dem Papier kann sich die Bilanz der Gespräch sehen lassen: So soll das Handelsvolumen beider Länder bis 2015 von gut 130 Milliarden auf 200 Milliarden erhöht werden. Außerdem sind laut Wen Verträge über zehn Milliarden Euro geschlossen worden. Zum Beispiel erhält der europäische Flugzeugbauer Airbus einen Milliardenauftrag, weil die Chinesen 62 Maschinen vom Typ A320 kaufen. Volkswagen wird den Bau einer neuen Fabrik in China angehen, Siemens will stärker mit der Reformkommission des Landes kooperieren und Daimler seine Investition nahe Peking erhöhen. Außerdem soll die Zusammenarbeit auf den Gebieten der Elektromobilität und der Energieeffizienz ausgebaut werden. Und: China wird Partnerland der Hannover-Messe 2012.
"Sehr gut", kommentiert Merkel zufrieden, nachdem alle Abkommen unterzeichnet sind. Dass beide Seiten wahrlich unterschiedliche Ansätze in der internationalen Politik haben, beispielsweise in der Libyen- oder Afghanistanfrage, tritt fast in den Hintergrund.
Bei seinem letzten Besuch in Europa 2009, so Wen, sei es noch "kalt" gewesen, auch habe es eine "Atmosphäre des Leidens" wegen der Finanzkrise gegeben. Jetzt sei es überall sonnig und fröhlich - zitronengelb eben.

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