"Wir brauchen Pflegeheime statt Kindergärten"

Bitburg · Düster sind seine Zukunftsprognosen, die die Auswirkungen des demografischen Wandels auf die kommenden Generationen zeigen. TV-Reporter David Zapp sprach mit dem Sozialexperten Professor Bernd Raffelhüschen.

 Bernd Raffel-hüschen. TV-Foto: Rudolf Höser

Bernd Raffel-hüschen. TV-Foto: Rudolf Höser

Bitburg. Dörfer sterben aus, die Menschen werden älter und zahlreicher. Was die Kinderarmut zukünftig für Auswirkungen auf soziale Strukturen haben wird, darüber hat Professor Bernd Raffelhüschen von der Universität Freiburg gesprochen.

Wie könnte das Szenario der deutschen Bevölkerung in naher Zukunft aussehen?
Raffelhüschen: Wir werden in 30 Jahren keine Abnahme der Bevölkerungszahlen haben. Lediglich die Altersstruktur schlägt durch. Wir werden ein bisschen weniger, dafür ungemein älter. Der Durchschnittsmensch wird um 7 bis 9 Jahre älter sein als heute. Das bedeutet, dass wir in der gesamten Struktur unserer öffentlichen Budgets völlig umdenken müssen.

Wir stellen uns die Eifel in 50 Jahren vor. Gibt es verwaiste Dörfer und Geisterstädte?
Raffelhüschen: Nein. Man darf das nicht zu einer Weltuntergangsstimmung machen. Wir müssen uns nur darauf einstellen, dass die Welt in Deutschland eine ältere sein wird. Das ist im Übrigen nicht sehr abstrakt, sondern so konkret wie die Tatsache, dass wir beide hier am Tisch sitzen. Wir sind dann die Alten und verdammt viele.

Was für Auswirkungen hat das auf ländliche Strukturen?
Raffelhüschen: Ob der Zuzug in die Städte anhält oder ob wir wieder eine Abwanderung in die Dörfer bekommen, ist schwer zu prognostizieren. Das ist wie ein Pendel, das immer hin und her schwingt. Jede Generation hat zweimal gedacht, es geht wieder zurück aufs Land und zweimal gedacht, es geht wieder in die Stadt. Wir wissen eines: Diejenigen, die regional wandern können, sind weniger. Somit wird es garantiert Strukturveränderungen geben, die die kommunalen Budgets betreffen. Wir brauchen Krankenhäuser und keine Schulen. Und: Wir brauchen Pflegeheime anstatt Kindergärten.

Ortsgemeinden, Verbandsgemeinden, Kreisverwaltungen - wie sinnvoll ist diese Struktur?
Raffelhüschen: Die Verwaltungskosten von Gebilden wie Kommunen und kleinen Krankenhäusern sind zu hoch. Sie brauchen bei Kommunen wie auch bei Krankenhäusern eine gewisse Größe, um effizient zu arbeiten. Man muss dann ein paar Kilometer fahren, um ins nächste Krankenhaus oder Pflegeheim zu kommen. Daran müssen sich die Menschen gewöhnen. Eine Flächenversorgung an jedem Punkt in Deutschland kann es nicht mehr geben. Ob sie Hallig-Bewohner sind oder in der Eifel leben.

Was wäre der Ausweg?
Raffelhüschen: Man muss sich die Pflegeheime anschauen. Wir brauchen mehr davon und größere. Dann muss man sich die Schulen ansehen, die man zusammenlegt. Dann hat man ein dickes Problem mit der Beamtenversorgung auch auf kommunaler Ebene, so man für diese keine Rückstellungen gemacht hat. Da hat man eine Menge Arbeit vor sich für die nächsten 15 Jahre. Eins ist klar: Wenn wir es jetzt nicht machen, dann fährt der Zug gegen die Wand.

Das ist das eine Ende der Alterspyramide. Nun gibt es mit den Kindern auch das andere Ende. Es werden verstärkt Kindergärten ausgebaut. Was sagen Sie dazu?
Raffelhüschen: Eines muss man sich abschminken. Die meisten Menschen glauben, wir müssten nur eine vernünftige Familienpolitik machen, dann wird sich die Zukunft ändern. Die Zukunft ist bereits passiert. Das Verhältnis von Alten oder Kranken zu Beitragszahlern oder Sozialhilfeempfängern zu Steuerzahlern, dieses Verhältnis liegt für die nächsten 25 Jahre längst fest. Daran kann keine Familienpolitik in Zukunft etwas ändern.

Ist das viele Geld für Kitas und Schulen rausgeworfenes Geld?
Raffelhüschen: Ja. Denn sie pulvern Geld in Schulen, die sie nicht brauchen. Sie haben doch keine Kinder dafür. Die Generation nach unserer Generation ist so ausgedünnt, dass selbst eine Verdoppelung der Geburtenrate das Problem nicht lindert. Das Problem ist da. Aber wir können es auch lösen.
Bernd Raffelhüschen, Jahrgang 1957, ist verheiratet und Vater dreier Kinder. Er ist Professor für Finanzwissenschaft und Direktor des Forschungszentrums Generationenverträge an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg sowie Professor an der Universität Bergen (Norwegen). Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Sozial- und Steuerpolitik, insbesondere der Alterssicherung, Gesundheitsökonomie und Pflegevorsorge. ´

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort