"Wir haben die Wahl zwischen zwei Übeln

Ulla Schmidt (SPD) hat gestern das Gesundheitsministerium an ihren Nachfolger im Minister-Amt, Philipp Rößler (FDP), übergeben. Der Personalwechsel soll auch eine radikale Neuordnung des Gesundheitswesens einleiten.

Berlin. (vet) Über die schwarz-gelben Vorhaben in puncto Gesundheitspolitik sprach unser Berliner Korrespondent Stefan Vetter mit dem Duisburger Gesundheitsökonomen Jürgen Wasem.

Herr Wasem, Sie zählen zu den Schöpfern des umstrittenen Gesundheitsfonds. Wird Ihr Projekt nun abgewickelt?

Wasem: Nein. Auch das Modell der neuen Regierung kommt ohne die Geldsammelstelle nicht aus. Die Beiträge der Arbeitgeber werden auch weiter einkommensabhängig erhoben. Dieses Geld wandert in den Fonds, um dann auf die Kassen verteilt zu werden. Politisch gesehen ist der Fonds nach allen Seiten offen. Deshalb hatten sich Union und SPD einst auch darauf verständigt.

Auf die Versicherten kommen aber doch wohl grundlegende Veränderungen zu.

Wasem: Ja. Aus ihrem bisherigen Beitragsanteil soll eine einkommensunabhängige Kopfpauschale, auch Prämie genannt, werden. Künftig rechnet die Krankenkasse aus, wie hoch dieser Fixbetrag sein muss, um die Ausgaben zu decken. Unklar ist noch, ob solche Beträge auch für Kinder und nicht erwerbstätige Ehegatten fällig werden. Bislang sind beide Gruppen beitragsfrei mitversichert.

Schon jetzt gibt es eine Prämie in Form des Zusatzbeitrages, der aber auf maximal 37 Euro begrenzt ist. Wie hoch wird sie künftig sein?

Wasem: Wenn das Modell wie geplant 2011 startet, wird die Prämie im Durchschnitt bei etwa 100 Euro im Monat liegen. Heute zahlen die Versicherten durchschnittlich etwa 95 Euro in Form ihres prozentualen Beitragsanteils. Allerdings wird sich diese Prämie stark von Kasse zu Kasse unterscheiden. Denn die gewährten Mittel aus dem Fonds decken ja nur knapp die halben Ausgaben. In Regionen, in denen die Krankenversorgung teuer ist wie zum Beispiel in Berlin, wird die Prämie höher sein als etwa in Baden-Württemberg, wo die Ausgabenstruktur günstiger ist.

Einkommensschwache sollen einen sozialen Ausgleich über Steuern erhalten. Wie viel Geld ist dafür nötig?

Wasem: Das hängt ganz wesentlich von seiner Ausgestaltung ab. Man wird eine Belastungsgrenze beim individuellen Einkommen definieren müssen, die der Pauschalbetrag nicht übersteigen darf. Je höher man diese Grenze ansetzt, desto weniger Steuergeld ist für den sozialen Ausgleich notwendig.

Können Sie das erläutern?

Wasem: Nehmen wir einen Rentner mit 600 Euro Rente. Würde die Belastungsgrenze bei acht Prozent vom Einkommen liegen, dann hätte er eine Pauschale von 48 Euro zu zahlen. Der Zuschuss für den Rentner müsste dann bei rund 60 Euro liegen. Läge die Grenze bei zwölf Prozent, müsste er schon 72 Euro zahlen, und an Steuerzuschüssen wären nur rund 30 Euro fällig. Am Ende ist das eine politische Entscheidung. Der zusätzliche Steuerbedarf für das neue Modell wird nach meiner Schätzung aber bei mindestens zehn Milliarden Euro liegen.

Ist es gerecht, wenn der Pförtner die gleiche Gesundheitsprämie zahlt wie sein Betriebschef?

Wasem: Bei einem vernünftigen sozialen Ausgleich wäre das neue System gerechter als das bestehende. Nur ein Beispiel: Wenn heute jemand 1000 Euro verdient und nebenbei noch Kapitaleinkünfte in gleicher Höhe hat, dann wird nur das Arbeitseinkommen für den Beitrag herangezogen. Beim künftigen Ausgleich könnten alle Einkünfte berücksichtigt werden.

Mit der beabsichtigten Einfrierung des Beitragsanteils der Arbeitgeber wird der Spardruck im System abnehmen. Halten Sie das für sinnvoll?

Wasem: Der Spardruck wird sicher sinken. Man darf aber nicht vergessen, dass der Spardruck zu einer wachsenden Ausgrenzung von Gesundheitsleistungen führt. Die Kostenbremse geht also zulasten der Kranken. Würde der Arbeitgeberbeitrag noch mehr steigen, kämen wir um weitere massive Einschnitte nicht herum. Das kann es auch nicht sein. Insofern haben wir es mit der Wahl zwischen zwei Übeln zu tun. Zur Person Jürgen Wasem (50, Foto: dpa)ist deutscher Wissenschaftler und Politikberater. Der Professor für Medizinmanagement an der Uni Duisburg-Essen war an der Einführung und ist an der Weiterentwicklung des Risiko-Strukturausgleichs zwischen den gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland beteiligt.

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