"Wir leben noch!"
MAINZ. Einen solchen Wahlabend der widerstreitenden Gefühle hat das Abgeordnetenhaus in Mainz selten erlebt. Wie in einem Brennglas der Bundespolitik treffen sie hier aufeinander.
Die heiteren Verlierer der SPD, im Stockwerk darüber die enttäuschten Sieger der CDU. Die Liberalen, die trotz kräftigem Zugewinn nicht tanzen mögen. Die Grünen freut derweil ein Ergebnis "ohne Leihstimmen" - und am Katzentisch in einem nahe gelegenen Restaurant erlebt ein Häuflein von Linkspartei und WASG die Erfüllung ihres Ziels: auch im Lande fünf Prozent zu holen.Um kurz nach 18 Uhr taucht ein Lächeln auf dem Gesicht von SPD-Fraktionschef Joachim Mertes auf. Wenige Minuten vorher ist er in den großen Saal der Fraktion der Sozialdemokraten gekommen. "Es ist nicht zu glauben", entfährt es ihm bei den ersten Zahlen. Schnell findet er seinen Humor wieder: "Wir leben noch!", sagt er mit süffisanter Untertreibung. "In Nordrhein-Westfalen waren wir mausetot."
Beck: "Eine Klatsche für Frau Merkel"
Nach und nach finden sich weitere Genossen ein, erleichtert ob des "anständigen Ergebnisses". Spitzenkandidat Fritz Rudolf Körper hat seinen Wahlkreis Kreuznach an die CDU-Konkurrentin Julia Klöckner verloren, schreibt dies aber der Wähler-Wanderung zur FDP zu. Auch in der Gesamtstärke in Berlin muss die SPD Federn lassen: Der zwölfte Platz der Landesliste ist weg und damit das Berlin-Ticket für die Eiflerin Elke Leonhard.
"Umfragen sind für die Katz", bringt es Tabea Rößner auf den Punkt, Landesvorstandssprecherin der Grünen. Gelöste Stimmung herrscht im "grünen Stockwerk", der Trierer Reiner Marz weiß, warum: Auf das Ende von Rot-Grün "konnten wir uns ja schon einstellen". Ein Grünen-Ergebnis auf dem Niveau von 2002 bedeute daher "ein ehrliches Ergebnis ohne Leihstimmen" von SPD-Anhängern.
Auf Spekulationen um eine rot-gelb-grüne Ampel, von der FDP im Laufe des Abends rasch ausgeschlossen, reagieren auch grüne Landespolitiker mit skeptischem Gesichtsausdruck. Eine Versuchung, "der man nicht nachgeben sollte", findet Landesschatzmeisterin Britta Steck.
SPD-Landesparteichef Ministerpräsident Kurt Beck hatte sich mit seinen Getreuen in der Staatskanzlei verschanzt. Erst als die Hochrechnungen stabiler werden, tritt er vor die Medien. Er will "die Verluste nicht schönreden", sagt der Bundesvize, aber die dicht beieinander liegenden Werte für SPD und CDU seien eine "Riesenklatsche für Frau Merkel", sagt Beck nicht ohne Genugtuung. Ihr Fehler sei es gewesen, die Union so nahe an der FDP aufzustellen. "Dann wählen die Leute halt das Original." Seine Koalitionsvorlieben wollte er erst am heutigen Montag im SPD-Präsidium verraten, nur so viel: "Mit der PDS gibt es nichts, weder Koalition noch eine Duldung."
Um diese Zeit ist in einem nahe gelegenen Lokal die Freude der Linkspartei groß: Das Ziel, auch im Land die fünf Prozent zu überspringen und mit zwei Kandidaten in den Bundestag einzuziehen, ist erreicht. "Ich freue mich auf die Arbeit", sagt Spitzenkandidat Gert Winkelmeier aus Neuwied. WASG-Landeschef Alexander Ulrich sieht schon "eine klare Weichenstellung für die Landtagswahl."