"Wir müssen mit dem Problem leben"

Trier · Der Mensch ist umgeben von Bakterien. Einige von ihnen verursachen schwere Erkrankungen. Doch viele dieser Keime können nicht bekämpft werden, sie reagieren nicht mehr auf Antibiotika. Über die Gefahr dieser resistenten Keime sprach der TV mit dem Trierer Mikrobiologen Ernst Kühnen.

 Ein Stecknadelkopf mit Bakterien wird von einem Mikroskop vergrößert (oben links bis unten rechts). Foto: privat

Ein Stecknadelkopf mit Bakterien wird von einem Mikroskop vergrößert (oben links bis unten rechts). Foto: privat

Trier. Die unnötige Verordnung von Antibiotika und die kriminelle Verwendung der Medikamente in der Tiermast führen dazu, dass es immer mehr resistente Bakterien gibt. Die Menschen nehmen diese Bakterien auf. Sie können dann im Krankheitsfall mit Antibiotika oft nicht mehr behandelt werden. Darüber sprach unser Redakteur Bernd Wientjes mit dem Trierer Mikrobiologen Ernst Kühnen. Wie verbreitet sind multiresistente Keime?Kühnen: Multi- und hochresistente Bakterien gibt es in allen Bevölkerungsschichten, aber besonders bei den älteren Menschen, die im Laufe des langen Lebens durch ständige ganz normale Kontakte des täglichen Lebens immer mehr resistente Bakterien aufgenommen haben. Dadurch wird man erst einmal nicht krank, der Mensch kann sehr lange oder sogar für immer unauffällig sein.Wie beurteilen Sie die Situation bezüglich multiresistenter Keime in der Region? Kühnen: Die Resistenzlage im Großraum Trier ist vergleichbar mit der in anderen Regionen. Das heißt, deutlich ansteigend gegenüber vielen wichtigen Antibiotika. Wie viele Nachweise haben Sie in den vergangenen Jahren in Ihrem Labor erbracht? Kühnen: Seit 1995 wurde von mehr als 1,3 Millionen Menschen Material untersucht, seit 2005 hat Synlab Trier mehr als 25 400 hochresistente Bakterien nachgewiesen. Diese Bakterien wurden sowohl im Krankenhaus als auch außerhalb gefunden. Dies gilt auch für die von uns gefundenen 11 500 Patienten mit dem bekanntesten resistenten Keim, dem multiresistenten Staphylococcus aureus, also MRSA. Mehr als 40 Prozent sind seit zehn Jahren und mehr bekannt. Es ist danach aber auch klar, dass es im Laufe der Jahre nicht einige wenige Patienten sind, sondern in die Tausende gehende Patienten. Sind multiresistente Keime nur ein Problem der Krankenhäuser? Kühnen: Die Resistenz ist kein Problem des Krankenhauses alleine, sondern vornehmlich ein Problem des einzelnen Menschen, der aufgrund seiner Krankheiten und seiner Abwehrsituation mehr oder weniger anfällig ist für Infektionen. Somit finden wir Resistenz im Haus- oder Facharztbereich genauso wie im Klinikbereich, ebenso im privaten Haushalt, überall im täglichen Leben.Wie oft kommt es nach Ihrer Erkenntnis vor, dass in Kliniken der Region Patienten wegen solcher Keime isoliert werden müssen? Kühnen: Täglich werden mehrere Menschen im Raum Trier in praktisch jedem Haus isoliert, sei es wegen MRSA, der ESBL-Erreger, aber auch Clostridium difficile oder auch Noroviren. Die Isolierung ist seit Jahrhunderten ein einfaches Mittel der Verhinderung der Ansteckung anderer Menschen. Daran hat sich auch heutzutage nichts geändert. Welche Rolle spielt womöglich mangelnde Hygiene in den Krankenhäusern?Kühnen: Als Krankenhaushygieniker kann ich sagen, dass die von mir betreuten Häuser der Region eine sehr gut etablierte Hygiene praktizieren. Das Problem in Sachen Hygiene besteht leider darin, dass es immer wieder vereinzelte Menschen gibt, die diese Regeln hier und da verletzen oder gar meinen, sich nicht daran halten zu müssen. Konkret: Werden die betroffenen Patienten erst in den Kliniken krank oder tragen viele von ihnen den Keim schon in sich?Kühnen: Man vermutet, dass mindestens 80 Prozent der Infektionen patientenbezogen sind, das heißt aber auch, dass ein Teil der Infektionen durch Hygienefehler entstehen können. Das Problem ist eine Grauzone, bei der es schwer ist, zu sagen, wer der Verursacher ist. Besonders schwierig ist es, wenn ein Patient bereits als MRSA-positiv bekannt ist. Wer ist dann schuld an einer Infektion zehn Tage später? Das Krankenhaus, in dem er vor vier Jahren den MRSA bekommen hat, das jetzige Krankenhaus, oder das schicksalhafte Pech, im Rahmen eines Autounfalls in das Krankenhaus zu kommen. Wird er im Krankenhaus aktuell infiziert, so muss dies bekanntgemacht werden, auch um andere Patienten zu schützen. Das Land hat eine neue Hygieneverordnung auf die Schiene gesetzt. Wie nützlich ist diese? Was kann diese bringen? Kühnen: Staatliche Regelungen waren mehr als überfällig. So müssen Hygienefachkräfte und vor allem weitergebildete Krankenhaushygieniker aktiv die Leitlinien umsetzen, weiterhin diejenigen Personen sanktionieren, die sich nicht an Hygieneregeln halten. Das größte Problem ist aber, dass es viel zu wenige Fachleute gibt, nämlich nur 78 Hygieniker für ganz Deutschland.Welche Rolle spielt die Antibiotikaverordnung bei der Ausbreitung der Keime? Was muss sich dabei ändern? Kühnen: Der ungezügelte Antibiotikaverbrauch muss gestoppt werden. Gezielter Einsatz aufgrund gezielter Schulung ist nicht bei allen Ärzten der Fall. Leider vermittelt das Medizinstudium weder den Umgang mit der Hygiene noch mit der Antibiotikatherapie in ausreichendem Maße.Können diese Keime ausgerottet werden? Kühnen: Nein, wir müssen mit dem Problem leben und hoffen, dass die wenigen Antibiotika, die wir noch haben, in schwerwiegenden Fällen, helfen können. Im Gefolge von Schönheitsoperationen in Indien wurden die ersten panresistenten, also gegen fast alle Antibiotika resistenten Bakterien, im Mai 2010 auch nach Trier eingeschleppt. Noch sind es wenige. wieExtra

Ernst Kühnen ist Facharzt für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie und Leitender Arzt der Abteilung Medizinische Mikrobiologie und Hygiene im Medizinlabor Synlab in Trier. Das Labor führt mikrobiologische Untersuchungen für mehr als 800 Ärzte und seit 1995 bis heute für 30 Kliniken durch. Außerdem ist er Krankenhaushygieniker. wie

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