"Wir sind doch nicht im Mittelalter"

Kurt Beck gab sich bescheiden: "Ich freue mich über Ihr Interesse." Dabei wusste der SPD-Chef natürlich genau, dass der Medien-Auflauf an diesem Montag im Willy-Brandt-Haus beachtliche Dimension erreichen würde. Schließlich galt es, über eine Vorstandssitzung zu berichten, die eine Boulevardzeitung noch am Vortag zum "Duell" zwischen Beck und Vizekanzler Franz Müntefering hochstilisiert hatte.

Berlin. Zu diesem Zeitpunkt war der Sieg allerdings schon längst auf Becks Seite. Sein Vorstoß, das Arbeitslosengeld für Ältere zu verlängern, ist schließlich Balsam für die Seele der allermeisten Genossen. Ein negatives Votum des 45-köpfigen Vorstands wäre einem politischen Erdbeben gleichgekommen, das Beck als Chef nicht überlebt hätte. Am Ende vermerkte das Protokoll nur zwei Gegenstimmen und eine Enthaltung, die von Bundesfinanzminister Peer Steinbrück kam. Müntefering blieb ein Votum verwehrt, weil er dem Führungsgremium nicht angehört. Dem Vernehmen nach bekräftigte der Arbeitsminister hinter verschlossenen Türen aber noch einmal seine ablehnende Haltung mit dem Hinweis, dass es besser sei, in Arbeit zu investieren als in Arbeitslosigkeit. Zugleich warb er für seinen Kompromiss, eine Verlängerung mit verpflichtenden Weiterbildungs-Maßnahmen für die Betroffenen zu verbinden. Vergebens. Zuvor hatte Beck noch einmal seine Sicht der Dinge erläutert. Dass es um soziale Gerechtigkeit gehe und darum, älteren Arbeitslosen mehr Zeit für die Jobsuche einzuräumen. Damit war alles gesagt. Es kam nicht einmal zu einer Aussprache unter den übrigen Sitzungsteilnehmern.Neun-Punkte-Programm verabschiedet

Muss sich "Münte" nun revidieren? Keineswegs, meinte Beck hinterher fast gönnerhaft vor laufenden Kameras. Man sei doch "nicht im Mittelalter, wo man abschwören muss". Das Vorstandsvotum werde aber auch "nicht mehr infrage gestellt", mahnte Beck. Nach Angaben aus Parteikreisen hat Müntefering dem Pfälzer versichert, seinen Standpunkt nicht mehr offensiv zu vertreten. Im Vorstand behielt sich Müntefering gestern aber auch vor, davon abzurücken, falls andere in der Partei den öffentlichen Eindruck erweckten, er sei politisch umgefallen. Der Passus zum Arbeitslosengeld findet sich in einem Neun-Punkte-Programm wieder, das der Vorstand am Ende einstimmig billigte. In dem Antrag, den auch der Bundesparteitag am kommenden Wochenende in Hamburg mit breiter Mehrheit annehmen dürfte, sind zugleich Maßnahmen für einen flexiblen Übergang in die Rente sowie strikte Auflagen für die Leiharbeitsbranche enthalten. So sollen Leiharbeiter "nach einer angemessenen Einarbeitszeit" den gleichen Lohn bekommen wie die Stammbelegschaft. Mit einigen Unsicherheiten ist indes der Antrag zur Privatisierung der Bahn behaftet, für den der Vorstand gestern ebenfalls grünes Licht gab. Nur Steinbrück und Juso-Chef Björn Böhning votierten mit "Nein". Böhning geht das Papier zu weit, dem Kassenwart nicht weit genug. Eine ähnliche Gemengelage erwarten Beobachter auch bei der Diskussion auf dem Parteitag. In der Union wird das Treiben des Koalitionspartners übrigens mit größter Aufmerksamkeit verfolgt. Das CDU-Präsidium beschäftigte sich gestern vornehmlich mit dem Thema Arbeitslosengeld. Die Union ist höchst besorgt, dass es Kurt Beck und der SPD gelingen könnte, damit 2009 in den Wahlkampf zu ziehen. Die Runde unter Vorsitz von Angela Merkel war sich denn auch schnell über die Gegenstrategie einig: "So schnell wie möglich weg mit dem Thema", sei die Devise, sagte ein Teilnehmer. Nach dem SPD-Parteitag solle es bald Verhandlungsrunden geben, um eine gemeinsame Regelung zu finden. Einzige Bedingung der Union dabei: Der Arbeitslosenversicherungsbeitrag soll dann auf 3,5 Prozent sinken.

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