Wird Guantánamo nicht geschlossen? - Eine Analyse

Washington · Es gibt keinen Reporter, der mehr Zeit in Guantánamo verbracht hätte als Carol Rosenberg. Angestellt beim „Miami Herald“, ist sie ein ums andere Mal auf den Flottenstützpunkt im Südostzipfel Kubas gereist, um zu berichten. Nicht, dass sie Geheimnisse unter dem Teppich hervorgekehrt hätte.

Besuchen Journalisten das Lager, läuft alles nach dem Skript des Militärs. Gespräche mit Insassen sind tabu, umso gründlicher darf man in der Gefängnisbibliothek die Bücherregale studieren. Oder in der Klinik ein Interview mit der leitenden Ärztin führen, einer Medizinerin, die einen Hungerstreik nicht Hungerstreik nennen will, sondern ihn zu nichtreligiösem Fasten verbrämt.

Sie haben etwas Absurdes an sich, die journalistischen Rundgänge durch Guantánamo. Doch Carol Rosenberg handelt nach der Devise, dass sie als Chronistin schon deshalb präsent sein muss, damit die Leser nicht vergessen, dass es Guantánamo nach wie vor gibt. Nach ihrem Gefühl, sagt sie in einem Interview, wird sich so bald nichts ändern an der Existenz des Lagers. Mehr noch, unter Donald Trump werde sie wohl bald rückgängig gemacht, die Präsidentendirektive, das Camp zu schließen.

Es ist fast auf den Tag genau acht Jahre her, dass Barack Obama verfügte, "Gitmo" aufzulösen. Es war eine seiner ersten Amtshandlungen, binnen zwölf Monaten sollte der Schritt vollzogen sein. Später räumte er ein, es wäre wohl besser gewesen, das Lager sofort zuzusperren, statt erst eine Zwölfmonatsfrist zu setzen. Eine Frist, die seinen Gegnern reichte, um ihm genügend Knüppel in den Weg zu werfen. Zumal Obama, so schildern es Insider, zu vorsichtig agierte, während unter anderem seine Außenministerin Hillary Clinton entschlossenes Handeln anmahnte.

Zum Ende seiner Amtszeit werden es noch 45 Gefangene sein, die auf der Flottenbasis einsitzen. 242 waren es, als Obama vereidigt wurde, während es auf dem Höhepunkt, unter George W. Bush, 779 gewesen waren. Kurz vor seinem Abschied hat der scheidende Präsident noch einmal Druck gemacht: Diese Woche durften zehn Insassen das Lager verlassen, überstellt ins Sultanat Oman, das Land, das sich in letzter Zeit am ehesten bereit zeigte, entlassene Häftlinge aufzunehmen. Am Wesentlichen ändert das freilich nichts. Guantánamo bleibt bestehen als eine Art Raumschiff, in dem die Regeln des Rechtsstaats allenfalls eingeschränkt gelten.

Dass Trump daran etwas ändert, scheint so gut wie ausgeschlossen. "Wir werden es auffüllen mit ein paar bösen Burschen, glaubt mir, wir werden es auffüllen", kündigte er vor elf Monaten auf einer Wahlkampfbühne an. Was die Worte in der Praxis bedeuten, bleibt einstweilen ebenso unklar wie die Antwort auf die Frage, was seinen Handelsdrohungen an die Adresse Chinas, Mexikos oder Deutschlands an Konkretem folgt. Carol Rosenberg glaubt, dass es "die Stiefkinder Al-Qaidas" sein werden, die demnächst auf dem Stützpunkt landen könnten. Leute, die man auf den Schlachtfeldern Syriens oder des Irak aufgreife, unter ihnen womöglich Kämpfer des "Islamischen Staats".

Warum Obama nicht energischer handelte? Das Weiße Haus, weiß man im Nachhinein, hat in dem Moment kalte Füße bekommen, als die ersten Freizulassenden, aus China stammende Uiguren, im Bundesstaat Virginia eine neue Heimat finden sollten. Der Widerstand der Republikaner war dermaßen heftig, dass das Oval Office damals, 2009, einen Rückzieher machte. Und als Obamas Justizminister Eric Holder vorschlug, die Drahtzieher der Anschläge vom 11. September 2001 in New York vor Gericht zu stellen, am Ort des Verbrechens, waren es dieselben Argumente, die den Plan scheitern ließen. "Überall, aber bitte nicht bei uns", lauteten sie in der Kurzformel. Rudy Giuliani, New Yorks früherer Bürgermeister, damals noch immer populär, legte resolut Einspruch ein. Andere führten ins Feld, dass man die Downtown Manhattans, wo das Gericht tagen sollte, unmöglich zu einer Hochsicherheitsfestung ausbauen könne. Dies aber wäre die Voraussetzung, ohne die man derart gefährliche Terroristen nicht vor einen Richter lassen könne.

In Guantánamo wiederum tritt das Verfahren, geführt vor einer Militärkommission, vor Geschworenen in Uniform, praktisch auf der Stelle. Seit viereinhalb Jahren sitzen Khaled Scheich Mohammed, der mutmaßliche Chefplaner der 9/11-Anschläge, und vier seiner mutmaßlichen Komplizen bereits auf der Anklagebank. Der eigentliche Prozess hat noch immer nicht begonnen, noch laufen die Vorverhandlungen, zäh und offensichtlich ergebnislos. Bevor Mohammed und seine Mitangeklagten 2006 in die Karibik geflogen wurden, haben sie - je nach Einzelfall - drei bis vier Jahre in Geheimgefängnissen der CIA verbracht, in Thailand, Afghanistan, Litauen, Polen, Rumänien. Da sie gefoltert wurden, haben Aussagen aus dieser Zeit keinerlei Wert. Was das Verfahren erheblich erschwert.

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