"Wird Oma sterben?"

TRIER. Wie viele irakisch-stämmige Menschen in der Region Trier wohnen, weiß niemand. Es gibt keine Organisation, in der sie zusammengeschlossen sind. Aber diejenigen, die Wurzeln im Irak haben, leben dieser Tage in schrecklicher Angst um ihre Angehörigen und Freunde.

Bei Familie Sharif (Name geändert) in einem Vorort von Trier läuft seit Tagen nur noch ein Fernsehprogramm: der arabische Sender Al-Dschasira. "Wir haben einfach keine Nerven mehr für normale Sendungen", sagt Amina Sharif. Die Sharifs haben eigens eine Satellitenschüssel installiert, um Al-Dschasira empfangen zu können. "Es sind die einzigen, die unzensiert senden", ist sich Amina sicher. Von morgens früh bis spät in die Nacht hinein läuft das Programm, und die Familie stürzt sich wie süchtig auf jede Information aus der Heimat. Amina, ihr Mann und die Kinder leben seit Monaten im Ausnahmezustand. Alle Gedanken kreisen um die Angehörigen im Irak. "Wenn ich die Bilder sehe, muss ich oft weinen", erzählt Amina. Und ihre acht und elf Jahre alten Töchter weinen mit. Dabei waren sie nie bewusst im Irak, kennen ihre Verwandten nur vom Hörensagen und vom Telefon. "Wird Oma sterben?", fragt der vierjährige Sohn. Amina hat versucht, den drohenden Krieg, die Angst und Nöte so gut es ging von ihren Kindern fernzuhalten. Aber jetzt ist das nicht mehr möglich. Schon vor 20 Jahren kam Amina mit ihrem Mann nach Deutschland. Sie sind längst integriert, haben die deutsche Staatsbürgerschaft, könnten sich heraushalten aus dem, was in ihrer alten Heimat passiert. Wären da nicht die Wurzeln. Und vor allem die Familien. Amina stammt aus Bagdad, ihr Mann kommt aus der Provinz. Die Angehörigen leben noch dort, seit Jahren unter immer schlimmeren Umständen. Jeden Cent, den die Familie entbehren kann, hat sie in den letzten Jahren in den Irak geschickt. Aber was nützt Geld, wenn etwa die medizinische Ver-sorgung nicht mehr funktioniert? Aminas Bruder hatte im letzten Jahr einen schweren Autounfall, mit komplizierten Brüchen. Aber es fehlte an Schmerzmitteln - Amina kommen die Tränen, wenn sie die Situation schildert. In den letzten Monaten hat sie verzweifelt versucht, ihre jüngere Schwester über Jordanien nach Deutschland zu holen, zumindest für einen Besuch. Vergeblich, es gab kein Visum von der deutschen Botschaft. Behörden können grausam sein. Aminas Kinder konnten das nicht begreifen. Wie sie den ganzen Krieg nicht begreifen. "Man kann doch nicht Krieg gegen ein ganzes Volk führen, weil es von einem einzelnen Bösewicht regiert wird" - da sind sich die Sharifs einig. Als Amina das Land einst verließ, herrschte Krieg mit dem Iran. Als sie ihre Familie vor zehn Jahren zum letzten Mal besuchte, war gerade der letzte Golfkrieg zu Ende. Nach zehn Jahren Wirtschaftsboykott ist der Irak ein armes Land geworden, die Menschen leben am Rand des Existenzminimums. Nun kommt der nächste Krieg. "Alle Menschen dort sind vom Leben bestraft", lautet Aminas trostlose Bilanz. "Und dabei ist die Region eigentlich so wohlhabend." Bagdad sei eine moderne Stadt, anders, als es oft in Deutschland dargestellt werde. "Und jetzt werden die Bomben alles wieder zerstören", sagt sie verzweifelt. Telefonische Verbindung abgebrochen

Vor wenigen Tagen hat sie zuletzt mit ihrer Mutter telefoniert - es war ein trauriges Gespräch. Gestern hat sie es wieder versucht, "aber es hat nicht einmal mehr geklingelt". Sie wird es weiter versuchen, aber die Hoffnung wird immer kleiner. "Die Anspannung ist kaum auszuhalten", beschreibt auch Salim (Name geändert) seine momentane Gemütslage. Der 45-Jährige lebt seit vier Jahren in einer kleinen Eifelgemeinde und genießt als politisch Verfolgter des Saddam-Regimes Asyl in Deutschland. Der Diktator hat ihn aus seiner Heimat vertrieben, Angehörige wurden verfolgt, Freunde ins Gefängnis geworfen. Für Salim dennoch kein Grund, das Regime wegzubomben, im Gegenteil: "Die Raketen werden auch die Menschen treffen, die als Gegner Saddams ihr Leben riskierthaben." Dass mit der Beseitigung des herrschenden Clans Demokratie im Irak Einzug halten könnte, glaubt Salim nicht. Dafür bräuchte es nach seiner Überzeugung "jahrelange Aufsicht und politische Entwicklungshilfe". "Glauben sie, dass jemand die leistet?", fragt er skeptisch. "Schauen sie doch nur nach Afghanistan." Seine Prognose ist düster: "Die werden einmarschieren, alles zerstören, sich eine Regierung suchen, die ihnen passt - und was mit den Menschen passiert, interessiert doch keinen." Salim ist tief enttäuscht von den arabischen Staaten. "Die Europäer haben sich wenigstens gewehrt, aber die Araber sind von Amerika gekauft." Auch Amina glaubt, dass die ärmeren Staaten hoffen, ihr Wohlverhalten werde sich wirtschaftlich auszahlen. In einem weiteren Punkt sind sich Salim und Amina einig: Ohne die USA könnte der Irak seit Jahrzehnten eine kriegsfreie Zone sein. "Es waren doch die Amerikaner, die Saddam stark gemacht haben, um Krieg gegen Chomeini zu führen", erinnert sich Salim. "Und damit hat diese unglückselige Spirale begonnen."

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