Wirtschaft in Sorge um das Türkei-Geschäft

Brüssel · Politik und Wirtschaft reagieren verhalten auf die Forderung nach Sanktionen gegen die Türkei. Der Chef des Auswärtigen Ausschusses im Europa-Parlament, Elmar Brock (CDU), hält Sanktionen für nicht angebracht.

Brüssel. "Sanktionen können notwendig sein, wenn ein Land ein anderes überfällt. Sanktionen zu verhängen, weil uns innenpolitische Entwicklungen nicht passen, das ginge in die falsche Richtung", sagte Elmar Brok im Gespräch mit unserer Zeitung. Die EU verhänge auch keine Sanktionen gegen Länder wie China oder Ägypten, wo innenpolitische Maßnahmen bei den Europäern auch immer wieder umstritten seien. Ein deutliches Signal gegenüber der Türkei bei den Beitrittsverhandlungen hält Brok dagegen sehr wohl für angebracht: "Die EU-Beitrittsverhandlungen sollten unter den derzeit gegebenen Umständen nicht weitergehen."
"Absolutes Druckmittel"


Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn hatte wegen der Verhaftungen von Oppositionellen in der Türkei zuvor Sanktionen seitens der EU ins Gespräch gebracht. Die Hälfte der türkischen Exporte ginge in die EU, mehr als die Hälfte der Investitionen in der Türkei käme aus der EU. "Das ist ein absolutes Druckmittel. Und in einem gewissen Moment kommen wir nicht daran vorbei, dieses Druckmittel einzusetzen, um die unsägliche Lage der Menschenrechte zu konterkarieren."
Der Chef der SPD-Abgeordneten im Europa-Parlament, Udo Bullmann, ist durchaus dafür, Maßnahmen gegen die türkische Regierung zu prüfen. Er gibt jedoch zu bedenken: "Wenn Maßnahmen ergriffen werden, sollten sie sich nicht gegen die türkische Bevölkerung richten." Sie seien selbst Opfer der Mehrheitstyrannei aus Ankara. Auch Bullmann richtet den Blick auf Wirtschaftssanktionen: "Erdogan muss wissen: Die Hälfte der Exporte der Türkei geht in die Europäische Union. Mehr als die Hälfte der Investitionen in der Türkei kommen aus der Europäischen Union."
Der Handelsexperte im Europa-Parlament, Daniel Caspary (CDU), ist zwar dafür, ein deutliches Signal an die Adresse der Türkei zu senden, beim Ruf nach Sanktionen dämpft der Abgeordnete aus dem Südwesten aber die Erwartungen. "Wirtschaftssanktionen sind erst dann angebracht, wenn alle anderen Versuche gescheitert sind."
Der FDP-Europa-Abgeordnete Michael Theurer kündigte an: "Die liberale Fraktion will die EU-Kommission auffordern, Vorschläge für rechtlich mögliche und sinnvolle Sanktionen gegen die Türkei vorzulegen. Denkbar sind etwa Einreiseverbote, wie sie bereits gegen Russland verhängt wurden."
Weniger Engagement erwartet



Der Chef der Außenwirtschaftsabteilung beim Deutschen Industrie und Handelskammertag (DIHK), Volker Treier, verweist zwar darauf, dass die Politik das letzte Wort bei Sanktionen habe. "Sanktionen würden aber die ohnehin schon stark belasteten Wirtschaftsbeziehungen beider Länder weiter in Mitleidenschaft ziehen."
Seit dem Putschversuch und den eingeleiteten Gegenmaßnahmen seien die deutschen Exporte rückläufig. Eigentlich hatte man damit gerechnet, dass die Exporte in die Türkei um fünf Prozent zulegen würden, nun sei allenfalls eine rote Null zu erwarten. Angesichts des Vorgehens der türkischen Regierung breite sich große Unsicherheit unter den deutschen Unternehmen vor Ort aus. Investitionen lägen auf Eis.
BDI-Präsident Ulrich Grillo hatte bereits nach dem Putschversuch im Sommer seine Sorge um das Türkei-Geschäft deutlich gemacht: "Wir betrachten die Entwicklung in der Türkei mit Sorge. Der Putschversuch und viele Terrorakte maximieren die politische Instabilität." Es sei davon auszugehen, dass deutsche Unternehmen ihr Engagement in der Türkei deutlich zurückfahren, zumal es außerdem protektionistische Maßnahmen der Regierung gibt.
Steigende Exportquote


Die Maschinenbauer spüren indes noch nichts von der politischen Eiszeit. Thilo Brodtmann vom Branchenverband VDMA sagte: "Für uns läuft das Geschäft in der Türkei unverändert gut, in den ersten acht Monaten 2016 sind die Exporte sogar um 5,6 Prozent gestiegen." Die Entscheidung über Sanktionen liege bei der Politik. Doch Brodtmann warnt: "Es wäre ein Verlust für die Industrie, wenn die engen Beziehungen zur Türkei durch die gegenwärtigen politischen Spannungen nachhaltig beschädigt würden."
Massive Einbrüche hat die Tourismus-Industrie zu verkraften. Schon nach dem Putschversuch hatte ein hoher diplomatischer Vertreter der Türkei gesagt: "Die Hoteliers in der Türkei haben 2016 abgeschrieben. Sie hoffen für 2017 inständig, dass die politische Instabilität beseitigt wird." Danach sieht es derzeit nicht aus.

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