Wofür steht die CDU?

BERLIN. Die Bundeskanzlerin hat in diesen Tagen Grund, sich Sorgen zu machen: Die öffentliche Stimmung wendet sich gegen die von Angela Merkel geführte große Koalition.

Angela Merkel und ihr Fraktionsvorsitzender Volker Kauder saßen lange zusammen in einer der hinteren Reihen des Bundestages. Zwar reden beide fast täglich miteinander, doch der Gesprächsbedarf von Kanzlerin und ihrem wichtigsten Mann im Parlament ist erkennbar größer geworden: Aus zwei Richtungen klingeln bei der Union die Alarmglocken laut und deutlich. Kauder muss Prügel einstecken

Die öffentliche Stimmung wendet sich gegen die von ihr geführte große Koalition. Der Fraktionschef bekam dies in dieser Woche zu spüren: In der Boulevardpresse wurde er als "Schauder-Kauder" abgekanzelt, der zahlreiche Belastungen für die Bürger propagiere. Wenn Kauder geprügelt wird, ist Merkel gemeint. Dass sie entgegen allen Erwartungen Kanzlerin wurde, schützt die Ostdeutsche noch weitgehend vor der direkten Attacke der veröffentlichten Meinung. Je mehr sich das schwarz-rote Bündnis aber als einfallslose Koalition der Zumutungen präsentiert, desto rasanter wird der Merkel-Bonus schwinden. Der defensive Stil der Regierungschefin verstärkt dies: Anstatt sich beispielsweise plakativ vor die Steuerbeschlüsse ihrer Koalition zu stellen, begnügt sich die moderierende Kanzlerin mit der Rolle der schweigsamen Zuseherin. Eine Frage wird daher bald häufiger gestellt werden, wenn die großen Reformvorhaben wie etwa Gesundheit oder Unternehmenssteuer anstehen: "Wo ist Merkel?" An der weiteren Front geht es um etwas anderes - gleichwohl ist die einsetzende Talfahrt der großen Koalition davon kaum zu trennen. "Wo ist die CDU?", lautet die zweite Frage, die sich Fraktion und Basis stellen, und die die Parteivorsitzende Merkel und ihr Adlatus Kauder beantworten müssen. Nach außen wirkt die Koalition wie eine des kleinsten gemeinsamen Nenners ohne Ideen; innen wächst hingegen der Frust über die vielen Kompromisse, die die Oberen um des lieben Friedens willen auch noch als Errungenschaft verkaufen. "Wir können auch anders", schimpft und droht ein Unionsmann, weil der Jubel der SPD-Justizministerin Brigitte Zypries über das neue, von CDU/CSU verdammte Gleichbehandlungsgesetz nicht verstummen will. Irgendwann reicht es eben nicht mehr, nur Kanzlerpartei zu sein. Irgendwann muss man auch vor die eigene Basis und dann vor den Wähler treten und erklären, warum beim Antidiskriminierungsgesetz der Sündenfall, nämlich über die EU-Vorgabe hinauszugehen, plötzlich keiner mehr sein soll. Dann muss man vertreten, dass bei den Kernkompetenzen der Union - Wirtschaft, Mittelstand, Steuerpolitik - die schöne neue Welt des Wahlprogramms in der Regierungspolitik kaum auffindbar ist. Der starke Wirtschaftsflügel in der CDU leidet besonders und setzt bereits zur verbalen Rebellion an: Man müsse aufpassen, dass man sich nicht als "Steuererhöhungspartei" etabliere, mosern einige über den "fatalen Genossen-Kurs" der eigenen Führung. Demgegenüber reagieren die CDU-Granden mit der Knute: Fraktionschef Kauder und sein parlamentarischer Geschäftsführer Norbert Röttgen sollen die ersten Aufmüpfigen bereits zu "persönlichen Gesprächen" gebeten haben. Das Grundproblem lässt sich mit Züchtigung aber nur oberflächlich lösen: Die Profillosigkeit der Union im Bund bleibt. Diese mangelnde Erkennbarkeit konservativer Politik wird zwangsläufig bis in die Länder durchschlagen. Deshalb haben die Ministerpräsidenten der CDU den Streit um das Antidiskriminierungsgesetz angezettelt. Er war als Warnschuss für die Kanzlerin gedacht. Die Landesfürsten, die nach der ersten Schonfrist nun auch dabei sind, ihr Terrain gegenüber Merkel abzustecken, verlangen aus ureigenem Interesse jetzt mehr Abgrenzung und klare Vorgaben. So auch die frustrierte Partei. Denn ihr einziger Trost könnte sich bald verflüchtigen - dass die SPD vom schwarzen Formtief nicht profitiert.

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