Wolf im Schafspelz

US-Präsident Bush lobt, schmeichelt - und mahnt, man möge sich an die gemeinsamen Aufgaben erinnern: Den Kampf gegen den Hunger, Aids und vor allem die Bedrohung durch den Terrorismus. Was Europa in den letzten 48 Stunden vom Gast aus Washington zu hören bekam, das Beharren auf gemeinsamen Interessen und der Wunsch nach Rat, Hilfe und Weisheit der Verbündeten, war eine klassische politische Charme-Offensive.

Doch man sollte sich nicht täuschen lassen: Hier präsentierte sich ein Wolf im Schafspelz, der - wenn es darauf ankommt - die eigene politische Agenda notfalls weiter rücksichtslos verfolgen wird. Dass dabei auch historische Analogien genutzt werden, die zumindest fragwürdig sind, stellt für Bush kein Problem dar. Aus dem Besuch in Auschwitz hat die US-Regierung erneut eine nachgeschobene Begründung für den Irak-Krieg abgeleitet und den Kampf gegen das gerechtfertigt, was der Texaner so gerne in seinem Schwarz-Weiß-Denken als "das Böse" simplifiziert. Dass dies zu einer Zeit geschieht, wo die Debatte um die wahren Kriegsgründe immer mehr an Fahrt gewinnt, ist zumindest verdächtig. Doch Zeit für Reflexionen oder Zweifel scheint Bush nicht zu haben, der Blick geht nach vorn. Schulter an Schulter mit Putin, freundlich plaudernd mit Chirac - nur einer aus der in Washington als "Achse der Feiglinge" gescholtenen Drei sah sich vom ausgiebigen Versöhnungs-Ritual ausgeschlossen. Bush hat trotz des protokollmäßigen Händedrucks Gerhard Schröder ignoriert - und damit getan, was zuvor in Washington angekündigt worden war. Das mag als arrogant oder sogar kindisch empfunden werden, doch für den US-Präsidenten haben schlichtweg andere Dinge Priorität als der Kontakt zu einer als weitgehend irrelevant empfundenen Regierung: wie ein Erfolg beim anstehenden Nahost-Gipfel, der sich - ebenso wie die Debatte um das Bedrohungspotenzial des Iran oder Nordkoreas - bestens dazu eignet, kritische Fragen zum Irak-Waffengang völlig in den Hintergrund zu drängen. nachrichten.red@volksfreund.de

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