Wunsch und Wolke

Prognosen sind schwierig. Besonders, wenn sie in die Zukunft gerichtet sind. Der Kalauer passt zur Diskussion über die Rentenbezüge. Kaum ein anderes Thema hat soviel Potenzial, um Junge und Alte gleichermaßen zu verunsichern.

Die Rentner bangen um ihre laufenden Auszahlungen. Und die heutigen Arbeitnehmer fürchten, dass sie im Ruhestand kaum mehr etwas von ihren Einzahlungen haben werden. Der jüngste Rentenbericht, der heute vom Bundeskabinett verabschiedet wird, dürfte kaum dazu beitragen, diese Ängste zu zerstreuen. Im Gegenteil. Schon die Tatsache, dass das Werk mit mehrmonatiger Verspätung in die Öffentlichkeit gelangt, ist ein Indiz für den alarmierenden Zustand der Rentenkasse. Dabei versprechen die Verfasser diesmal realitätsnähere Vorhersagen, als sie von früheren Regierungen zu hören waren. Gleichwohl sind die Zahlenkolonnen immer noch zu schön, um wahr zu sein. Trotz wachsender Alterung der Bevölkerung soll der Beitragssatz nach 2012 sinken. Gleichzeitig dürfen die Rentner dann wieder auf steigende Bezüge hoffen. Wie das zusammengehen soll, ist schleierhaft. Die Quadratur des Kreises war schon ein Markenzeichen früherer Rentenberichte. Nach der offiziellen Prognose von 1995 müssten die Renten heute um fast 22 Prozent höher liegen. Ursache der damaligen Fehleinschätzung: Die Lohnsteigerungen, nach denen sich die Rentenanpassungen im Grundsatz immer noch errechnen, wurden viel zu optimistisch eingeschätzt. Tatsächlich lässt sich das Gehaltsniveau auf lange Sicht ebenso wenig prophezeien, wie die Zahl der Arbeitsplatzbesitzer mit ihren entsprechenden Beitragszahlungen. Die wachsenden Löcher in der Rentenkasse resultieren allerdings nicht nur aus den Unwägbarkeiten der wirtschaftlichen Entwicklung. Schon bei der deutschen Einheit wurden die Weichen falsch gestellt. Die Kosten des Zusammenwachsens gingen vornehmlich zu Lasten der Sozialkassen. So kommt es, dass in den neuen Ländern zwischen Beitragseinnahmen und Rentenausgaben mittlerweile ein Defizit von jährlich rund zehn Milliarden Euro klafft, während die alten Länder, für sich betrachtet, einen Überschuss erbringen. Auch unser verriegelter Arbeitsmarkt trägt dazu bei, dass die Rentenversicherung etwa für Erwerbsminderungsrenten deutlich mehr ausgeben muss, als es bei einem optimalen Angebot an Teilzeitjobs nötig wäre. Die politischen Reaktionen erschöpfen sich vornehmlich in Flickschusterei und wohlfeilem Aktionismus. Auf der einen Seite verabschiedet die Regierung eine milliardenschwere Kürzung der Überweisungen für Langzeitarbeitslose an die Rentenkasse. Auf der anderen Seite muss sie den Rentenbeitrag auch deshalb im kommenden Jahr von 19,5 auf 19,9 Prozent erhöhen. Und als Zuckerbrot legt man sich darauf fest, dass die Altersbezüge bis 2009 nicht nominal sinken dürfen, obwohl sie es wegen der dürftigen Lohnentwicklung jetzt schon müssten. Immerhin hat Schwarz-Rot den Mut zur langfristigen Einführung der Rente mit 67 aufgebracht. Aber selbst dieser Schwenk setzt eher an den Symptomen an. Die zunehmende Alterung unserer Gesellschaft ist nicht in erster Linie der längeren Lebenserwartung geschuldet, sondern einer erschreckend niedrigen Geburtenzahl. Nur Kinder können die Renten retten. Das umfassende politische Konzept dazu steht noch aus. nachrichten.red@volksfreund.de

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