Zapfenstreich für die Wehrpflicht

Im vergangenen Jahr ist noch heftig über die Wehrpflicht gestritten worden. Inzwischen ist das Interesse jedoch drastisch gesunken. Zum Abschied vom Pflichtdienst im Bundestag kamen nur wenige Abgeordnete.

Berlin. Eine historische Entscheidung im Bundestag stellt man sich eigentlich anders vor. Die Reihen im Plenarsaal des Reichstagsgebäudes waren am Donnerstagnachmittag nur noch spärlich besetzt, als mit dem Tagesordnungspunkt 30 das Wehrrechtsänderungsgesetz aufgerufen wurde.

Eine gute Stunde lang wurde noch einmal über die Umwandlung der Bundeswehr in eine Freiwilligenarmee debattiert. Um 17.27 Uhr erhoben sich die Abgeordneten zur Abstimmung und besiegelten eine der weitreichendsten Entscheidungen dieser Legislaturperiode: Nach 55 Jahren wird am 1. Juli die Wehrpflicht ausgesetzt. Der Urheber dieser Entscheidung fehlte ebenfalls im Bundestag. Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) gehört dem Parlament nicht mehr an, er stolperte über seine Doktorarbeit, die er zum großen Teil abgekupfert hatte und deswegen nach seinem Titel auch das politische Amt abgeben musste.

Die Aussetzung der Wehrpflicht ist das bedeutendste politische Erbe des zurückgetretenen Verteidigungsministers. Im vergangenen Frühjahr hatte der CSU-Politiker die Idee im Zuge der Spardiskussion überraschend aus dem Hut gezaubert und die eigenen Reihen damit mächtig aufgemischt. Der "Markenkern der Union" kippte trotzdem schon im Spätsommer, im November und Dezember nickten die Parteitage von CSU und CDU die Entscheidung ab, und schon am 3. Januar wurden die letzten Wehrpflichtigen eingezogen. Jetzt ist der historische Schritt auch gesetzlich besiegelt.

Begründet wurde er gestern im Bundestag von einem, der lange Zeit zu den flammenden Befürwortern der Wehrpflicht in der Union gehörte - von dem neuen Verteidigungsminister Thomas de Maizière. Die Aussetzung sei für ihn "kein Freudenakt", gab der CDU-Politiker freimütig zu. "Es ist eine notwendige, aber mich nicht fröhlich stimmende Entscheidung." Unter sicherheitspolitischen und militärischen Aspekten sei sie geboten.

Mehr Geld für künftige Soldaten



Ein zwölf- bis 23-monatiger Freiwilligendienst soll nun die Lücke, die die Wehrpflicht reißt, zumindest teilweise füllen. Bis zu 15 000 junge Männer und Frauen will die Bundeswehr dafür gewinnen.

Die Bedingungen dafür sind in dem jetzt beschlossenen Wehrrechtsänderungsgesetz geregelt, und sie sind deutlich besser als für den bisherigen Pflichtdienst. Während ein Wehrdienstleistender heute nur 378 Euro im Monat verdient, sollen es künftig für den Freiwilligendienst 777 bis 1146 Euro sein. Hinzu kommen weitere Leistungen wie Unterkunft, Verpflegung, ärztliche Versorgung oder Sozialversicherungsbeiträge.

Trotzdem dürfte es mühsam werden, auf die angestrebte Zielgröße zu kommen. Ende vergangenen Jahres schrieb das Verteidigungsministerium 165 000 junge Männer an, die bereits gemustert waren. Nur 7000 davon, also weniger als fünf Prozent, meldeten Interesse an.

Bei den Zeitsoldaten läuft die Rekrutierung besser. 42 Prozent des Bedarfs seien für dieses Jahr schon gedeckt, heißt es im Ministerium. Trotzdem hat der Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Werner Freers, bereits Alarm geschlagen. Er warnte vor "großen Lücken im Personalkörper" der Armee.

Das Verteidigungsministerium wird mit einer fast fünf Millionen Euro teuren Werbekampagne und einem Maßnahmenpaket zur Verbesserung der Attraktivität der Bundeswehr gegensteuern. De Maizière bekräftigte im Bundestag aber, dass er die jungen Männer und Frauen eben nicht nur mit materiellen Anreizen in die Bundeswehr locken will.

"Wer ausschließlich wegen des Geldes zur Bundeswehr kommt, ist vielleicht genau der oder die, die wir nicht haben wollen", sagte der Bundesminister. Der neue Freiwilligendienst solle "ein Dienst an unserer Gesellschaft, ein ehrenvoller Dienst für unser Land" sein, "auf den der Soldat stolz ist, und auf den unser Land stolz ist".

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AUF EINEN BLICK



Ab 1. Juli ist die Bundeswehr eine Freiwilligenarmee. Dann wird nach 55 Jahren die Wehrpflicht ausgesetzt. Ersetzt wird der bisherige Wehrdienst durch einen zwölf- bis 23-monatigen Freiwilligendienst, für den sich auch Frauen melden können. Eine erste Umfrage des Verteidigungsministeriums ergab, dass weniger als fünf Prozent der jungen Männer Interesse an dem Dienst haben. Der bisherige Zivildienst soll durch einen Bundesfreiwilligendienst ersetzt werden, der in der Regel zwölf, mindestens sechs und höchstens 24 Monate dauert. dpa

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