"Zaubertrank" für Liberale

BERLIN. Nur bei einem Thema wurde es am Wochenende auf dem FDP-Parteitag richtig hitzig. Als die Frage zu entscheiden war, ob Unternehmer in Deutschland weiter Pflichtmitglieder in den Kammern bleiben müssen oder nicht, hatte die Tagungsleitung Mühe, die Ordnung zu wahren.

Am Ende, nach Intervention des Parteichefs Guido Westerwelle und des Generalsekretärs Dirk Niebel, blieb es mit knapper Mehrheit bei der Zwangsmitgliedschaft. Der Beschluss ist für den Rest der Republik zwar etwa so wichtig wie die Information, dass im Hafen des Tagungsortes Rostock ein Sack Mehl geplatzt sein soll, doch warf die Debatte ein Schlaglicht auf den Zustand der Liberalen. Die FDP ist immer noch eine Partei mit vielen Unternehmern und Freiberuflern und dieses Thema für sie so nah, wie es eine Debatte über das Betriebsverfassungsgesetz bei der SPD wäre. Außerdem ging es darum, was das Freiheitsideal der FDP im Konkreten heißt. Würde die Pflichtmitgliedschaft abgeschafft, so die Gegner einer Liberalisierung, bedeute das das Ende der Selbstverwaltung der Wirtschaft und in der Konsequenz mehr Staat. Die Befürworter, wie der Altliberale Burkhard Hirsch, nannten es eine "intellektuelle Zumutung", dass ausgerechnet die Wirtschaft nach Zwangsmitgliedschaft und Gesetzen rufe. Außerhalb dieses Streits hatten die Liberalen aber in Rostock kein Problem damit, ihr Markenprofil "Freiheit" auszubauen. Westerwelle, der sich erstmals in seiner Doppelrolle als Fraktions- und Parteichef präsentierte, erklärte das Wort gar zum "Zaubertrank" der FDP. Der neue Supervorsitzende beschimpfte Union und SPD in seiner Rede wegen ihrer Steuer- und Abgabenpolitik als "Umfaller", "Lügner" und "Geisterfahrer". Er prophezeite: "Wenn die Beschlüsse der Regierung in den Portemonees der Bürger ankommen, dann ist was los, dann ist die Gemütlichkeit zu Ende." Westerwelle rechnete auch mit Edmund Stoiber ab. Der CSU-Chef hatte ihn als "Leichtmatrosen" bezeichnet. Mit seiner Beschimpfung der Ostdeutschen habe "ein gewisser Schwermatrose" zum schlechten Wahlausgang der Union beigetragen. Insgesamt wirkte der Vorsitzende souveräner als früher, wenngleich es an Angriffslust nicht fehlte. Viele Delegierten sagten, dass die Partei gut dastehe. Nach Westerwelles erstem Bundestagswahlkampf 2002, als er zusammen mit Jürgen Möllemann am "Projekt 18" gescheitert war, hatte das noch anders geklungen. Die Generation der 40-Jährigen dominierte bei den Rednern. Mit langem Beifall verabschiedeten die 662 Delegierten den von Westerwelle Anfang Mai abgelösten Fraktionschef Wolfgang Gerhardt. Der ergriff das Wort nur noch für einen Kurzbeitrag. Überschrieben war das Treffen mit "Deutschland kann mehr". Die FDP möchte das Land voranbringen, indem "bürokratische Fesseln" beseitigt, Steuern gesenkt und marktwirtschaftliche Instrumente gestärkt werden. Mit großen Mehrheiten gingen Leitanträge zur Umwelt- und Innovationspolitik durch. Die Partei ist gegen den Atomausstieg, nennt die Kernspaltung aber eine "Übergangstechnologie". Das Gesundheitssystem soll auf private Krankenversicherung umgestellt werden. Die Hochschulen sollen das Studiengeld selbst festlegen können. Westerwelle beschrieb die Position seiner Partei mit den Worten: "Wir stehen gegen alle anderen Parteien im deutschen Bundestag." Über Koalitionen brauche man daher jetzt nicht zu spekulieren, das werde rechtzeitig vor der nächsten Wahl entschieden. Die FDP werde sich nicht auf andere Parteien zubewegen, aber vor ihnen auch nicht wegrennen.

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