Zeit der Geständnisse

Nach der Doping-Beichte von Bert Dietz hat auch Christian Henn, damals Fahrerkollege beim Team Telekom und heute sportlicher Leiter beim Radsportteam Gerolsteiner, eingeräumt, in den 1990er Jahren gedopt zu haben. Seinen Job beim Eifeler Rennstall soll er dennoch behalten.

Gerolstein/Herrenberg. Doping-Gerüchte rankten schon länger um ihn. In den Anschuldigungen von Masseur Jef D'Hont vor mehreren Wochen, der kollektives Doping bei seinem Ex-Arbeitgeber Team Telekom anprangerte, wurde Christian Henn, Radprofi bei den Bonnern zwischen 1992 und 1999, als Epo-Konsument dargestellt. Die Vorwürfe versandeten anschließend. Am gestrigen Dienstag nun kam die ganze Wahrheit auf den Tisch. Auf TV-Anfrage sagte Hans-Michael Holczer, Manager des Teams Gerolsteiner, dass Henn in einem Telefonat mit ihm am Dienstag Epo-Doping zwischen 1995 und seinem Karriere-Ende 1999 zugegeben hat. Henn ist seit 2001 sportlicher Leiter beim Eifeler Rennstall. Entrüstet reagierte Hans-Michael Holczer nicht. "Er ist der zweite Ex-Profi, der sich outet. Ich bin froh, dass er ganz vorne dransteht. Seitdem er bei uns ist, hat er eine klare, geläuterte Haltung zum Thema Doping." Auch dass sich Henn erst jetzt, nach dem Doping-Geständnis seines Ex-Fahrerkollegen Bert Dietz am Montagabend in der Fernseh-Talkshow "Beckmann", äußerte, lässt Holczer nicht vom Stuhl kippen: "Er ist in einer verantwortungsvollen Position bei uns. Da ist es verständlich, dass er nicht den ersten Stein werfen wollte." Geht es nach Holczer, wird Henn seinem Job beim Team Gerolsteiner weiter nachgehen: "Wir werden ihn behalten. Er hat uns in den vergangenen sieben Jahren gezeigt, dass er eine klare Linie gegen Doping verfolgt." Der Glaube zählt. Untersuchungen der Arbeit Henns in den vergangenen Jahren werde es laut Holczer, der sich mit an die Spitze des Anti-Doping-Kampfes im Radsport gestellt hat und Mit-Initiator des Ethik-Codes der Profiteams war, nicht geben: "Ich wüsste nicht, wie ich das hinterfragen und prüfen sollte."Eine Stellungnahme vom Team-Sponsor, dem Gerolsteiner Brunnen, war am Dienstag nicht zu erhalten.Wegen auffälligen Testosteron-Werten war Henn bereits im Jahr 1999 aufgefallen. Der erhöhte Testosteronspiegel kam nach seiner Aussage damals durch die Einnahme eines natürlichen Extrakts zu Stande, das einen bis dahin unerfüllten Kinderwunsch erfüllen sollte. Nach dem positiven Befund hatte Henn seine Karriere als Rennfahrer beendet. Gespräch mit Udo Bölts steht noch aus

Mit Reimund Dietzen (soll 1987 mit 20 Ampullen Amphetaminen erwischt worden sein) und Christian Wegmann (wurde 2002 bei der Hessen-Rundfahrt positiv auf Koffein getestet) sind derzeit zwei weitere Ex-Aktive in der sportlichen Leitung des Teams Gerolsteiner, die als Fahrer früher einmal unter Doping-Verdacht standen. Holczer hatte stets betont, dass er darin kein Problem sieht, da deren Arbeit bei Gerolsteiner keinen Anlass zu kritischer Hinterfragung gebe. Wie Henn war auch Udo Bölts in den 1990er-Jahren Profi beim Team Telekom. Bölts, der vor seiner letzten Saison 2003 zum Team Gerolsteiner wechselte und seit 2004 gleichfalls sportlicher Leiter beim Eifeler Rennstall ist. Er hatte die Anschuldigungen d'Honts nach Bekanntwerden als "Schwachsinn" bezeichnet. Er habe von all dem nichts mitgekriegt. Holczer kündigte an, auch mit ihm nun ein Gespräch zu führen. "Ich habe ihn bislang aber noch nicht erreicht", sagte der Teamchef am Dienstagnachmittag. Meinung Keine Chance den Leugnern Auf rund eine Million Zuschauer wurde die radsportbegeisterte Menge geschätzt, die jüngst beim traditionsreichen Rad-Rennen "Rund um den Henninger Turm" die Strecke säumte. Eine gigantische Zahl die belegt: Das Interesse am Profi-Radsport ist ungebrochen - allen bisherigen Enthüllungen um Doping zum Trotz. Von dieser Begeisterung zehrt der gesamte Radsport-Zirkus. Doch haben diese Wertschätzung auch alle Beteiligten verdient? Nicht erst seit den aktuellen Doping-Beichten von Bert Dietz und Christian Henn droht es zur Gewissheit zu werden, dass die Fans früher und wohl auch noch heute von Teilen der strampelnden Belegschaft sowie Hintermännern schlichtweg verschaukelt wurden beziehungsweise werden. In der aktuellen Entwicklung liegt aber auch eine Chance. Selbst wenn noch immer eine derzeit nicht überschaubare Zahl Beteiligter dem einst eisernen Radsport-Gesetz des Schweigens und Wegschauens folgt, bröckelt die Wand des Leugnens. Allen, die noch mauern, sollte klar sein: Nur wer jetzt auspackt und ehrlich ist, kann auf Entgegenkommen hoffen. m.blahak@volksfreund.de

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