Zurückhaltung war gestern

Die CDU in Aufruhr: Alte Rechnungen werden beglichen, Reformer beschweren sich über den Linkskurs Angela Merkels in der Großen Koalition, und nun droht aus der Debatte über den Wahlkampf Kochs ein heftiger Streit zu werden.

Berlin. Mit ihren Wahlkämpfern hat die CDU derzeit kein Glück. Erst der hessische Polarisier Roland Koch, dem jetzt selbst die parteinahe Konrad-Adenauer-Stiftung in einer Analyse ein verheerendes Wahlkampfzeugnis ausstellt. Und nun auch noch der Hamburger Ole von Beust. Der CDU-Bürgermeister glaubte, eine halbe Woche nach dem Debakel in Hessen einiges klarstellen zu müssen: Das Thema Einwanderung sei zu wichtig, um als schnelllebiges Wahlkampfthema zu dienen, schrieb er in einem offenen Brief mit 16 weiteren Unionspolitikern, darunter Berlins CDU-Chef Friedbert Pflüger, NRW-Integrationsminister Armin Laschet oder Ruprecht Polenz, Ex-Generalsekretär. Klare Worte, sollte man meinen. In Richtung Roland Koch. Doch nun wollen es von Beust und die anderen so nicht gemeint haben: "Dieser Brief hat mit dem Wahlkampf von Herrn Koch nichts zu tun", wehrte der Hamburger gestern ab. Womit dann? Der Aufruhr ist groß, in Berlin schütteln Parteifreunde entsetzt mit dem Kopf: "Die Absender des Briefes legen großen Wert darauf, dass der Inhalt nicht als Distanzierung von der CDU Hessen und von Roland Koch aufgefasst wird, aber exakt dieser Eindruck wird erweckt", ärgert sich Fraktionsvize Wolfgang Bosbach. Umfragen lassen nicht viel Gutes erahnen

Andere glauben, insbesondere von Beust habe sich schlichtweg verkalkuliert: Der Mann steht unter Druck, die Umfragen für die Wahlen Ende Februar lassen nicht viel Gutes erahnen. Um im weltoffenen Hamburg noch einmal zu punkten, habe er sich daher von Kochs Themen und dessen Stil öffentlich zu distanzieren versucht, vermutet man in der CDU. Ein durchschaubares, taktisches Manöver, feixt der politische Gegner. "Kalte Füße", so die Grünen, hätten jetzt von Beust und die anderen Kritiker bekommen angesichts des medialen Echos und der innerparteilichen Reaktionen. Wer Koch kritisiere, so Grünen-Chefin Claudia Roth, der kritisiere schließlich auch die Kanzlerin, die dessen Wahlkampf unterstützt habe. Nur deshalb seien die Unterzeichner zurückgerudert. Der Vorgang wirft ein bizarres Licht auf den momentanen Zustand der Union. Durch die Wahlschlappe in Hessen scheinen an allen Ecken und Enden Brände auszubrechen, die die Parteiführung kaum löschen kann. Angela Merkel schweigt und wartet ab

Zurückhaltung gibt es nicht mehr: Alte Rechnungen werden beglichen, Reformer beschweren sich über den Linkskurs Angela Merkels in der Großen Koalition, der Wirtschaftsflügel beklagt das mangelnde Profil der Partei, und nun droht aus der Debatte über den Wahlkampf Kochs ein heftiger Streit über die vergangene und künftige Integrationspolitik zu werden. Je nach Wahlausgang in Hamburg könnten sich die Richtungs- und Strategiekonflikte innerhalb der Union noch einmal verschärfen. Schon fühlt sich die Schwesterpartei CSU bemüßigt, die CDU zur Mäßigung aufzurufen. Eine Frage der Zeit, bis sich die Blicke auf die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende richten. Sie hat versucht, die Union programmatisch zu öffnen. Sie hat Kochs Wahlkampf massiv unterstützt. Angela Merkel ist in keiner angenehmen Position. Noch tut sie aber lieber das, was sie immer macht, wenn es brenzlig wird: Sie schweigt und wartet ab.

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