Zwischen Bitterkeit und Begeisterung

Der Gestank von Buttersäure hing diesmal nicht in der Luft. Und mit Farbbeuteln schmiss auch keiner - so wie vor acht Jahren beim "Kosovo-Parteitag", als militante Pazifisten versuchten, der Partei ein "Nein" zum Militäreinsatz auf dem Balkan abzutrotzen. Gemessen an diesen Turbulenzen war der Afghanistan-Parteitag der Grünen in Göttingen fast eine harmonische Veranstaltung. Und doch wird die Führungsspitze damit düstere Erinnerungen verbinden - hat sie doch auf ganzer Linie versagt.

Göttingen. "Wegen der verschiedenen Bewertungen der Tornados werden wir Grüne uns trotzdem nicht zerlegen", rief Parteichef Reinhard Bütikofer zu Beginn noch zuversichtlich in den Saal. Dabei zeichnete sich schon frühzeitig ab, dass die Delegierten auf Kontra gebürstet waren. Bütikofer und andere Promis, die aus ihrer Befürwortung für die deutschen Aufklärungsjets keinen Hehl machten, sahen sich mit Buhrufen konfrontiert. Redner, die den vermeintlichen Kriegseinsatz am Hindukusch brandmarkten, ernteten jubelnden Applaus.An der Parteibasis gärt es heftig

Spätestens seit März gärte es gehörig an der Parteibasis. Damals hatte eine Mehrheit der grünen Bundestagsabgeordneten für die Kundschafter-Mission in der Luft votiert. Viele sahen darin einen Verstoß gegen die grüne Beschlusslage, wonach deutsche Soldaten im Süden Afghanistans, den die Tornados auch inspizieren, nichts zu suchen haben. Über die Notwendigkeit der internationalen ISAF-Mission zur Absicherung des zivilen Wiederaufbaus herrschte dagegen immer grünes Einvernehmen. Dumm nur, dass beides irgendwie zusammenhängt. "Wer heute ISAF schützen will, braucht die Tornados", suchte etwa der grüne Europa-Abgeordnete Daniel Cohn Bendit den Delegierten einzuhämmern. Doch die Zuhörer waren so entsetzt, als hätte der alte Vertraute Joschka Fischers vom Teufel gesprochen. Nur zählt das eben wenig in der politischen Realität. Da will die Bundesregierung im Oktober über die Verlängerung des ISAF- und Tornado-Mandats gemeinsam im Bundestag abstimmen lassen. Und das bedeutet, dass das eine nur mit dem anderen zu haben ist oder eben nichts von beidem. Anstatt nun eine klare Entscheidung vorzugeben, wie sich Partei und Fraktion verhalten sollten, glich die Führung selbst einem aufgescheuchten Hühnerhaufen. Der kleinste gemeinsame Nenner war am Ende ein Leitantrag, der weder eine Festlegung zu den Tornados enthielt noch eine konkrete Empfehlung für die Abgeordneten. Dieses Kuddelmuddel setzte sich auch auf dem Parteitag fort: Bütikofer sowie die Fraktionschefs, Renate Künast und Fritz Kuhn, traten offen für ein "Ja" zur Paketlösung ein, die Co-Parteivorsitzende, Claudia Roth, plädierte für Enthaltung, und der linke Flügelmann, Jürgen Trittin, blieb kryptisch. Mit seiner Rede wollte sich Trittin eigentlich als grüner Leitwolf präsentieren. Er sprach auch mit großem Pathos, sagte aber nichts Entscheidendes, nämlich wie man sich nun bei der gekoppelten Anstimmung verhalten solle. "Das war doch ein Tornado-Tiefflug", schimpften Delegierte. So kam es, wie es kommen musste: Nach einer geschickt inszenierten Rede von Robert Zion, einem Mit-Initiator des Sonderparteitages, fiel der Leitantrag der Parteiführung glatt durch. Mit fast 100 Stimmen Vorsprung konnte sich stattdessen ein pazifistisch geprägter Alternativantrag behaupten, der die Tornados klar ablehnt und den Bundestagsabgeordneten empfiehlt, dem Paket "nicht zuzustimmen". Ströbele will Basis heiligsprechen

Der ISAF-Mission ringen die Verfasser zwar positive Seiten ab, glauben aber nicht an deren Erfolg, weil ein "Strategiewechsel" hin zu einem weitaus stärkeren zivilen Engagement durch die Bundesregierung "unmöglich" gemacht werde. Das bedeute "in der Konsequenz, dass sich die Bundeswehr komplett aus Afghanistan zurückziehen muss", heißt es in dem verabschiedeten Antrag. Der Altlinke Christian Ströbele war ganz aus dem Häuschen über die Niederlage der Führung. "Die Basis muss sofort heiliggesprochen werden", meinte er begeistert. Zwar ist der Beschluss für die Parlamentarier nicht bindend. "Aber er wird eine wesentliche Rolle bei ihrer Abwägung spielen", prophezeite Ströbele. Im Lager der Realos herrschte derweil Katzenjammer: "Das ist bitter", befand Fritz Kuhn und ahnte Schlimmes: "Wenn wir jetzt im Bundestag zur Außenpolitik reden, haben wir das Problem, ernst genommen zu werden." Viele Realos warfen der Führung vor, für ihren Wischi-Waschi-Kompromiss nicht genügend gekämpft zu haben. Doch wer vermag andere zu überzeugen, wenn er selbst nicht davon überzeugt ist? Meinung Debakel in der Provinz Willkommen im grünen Machtvakuum: Selbst altgediente Parteigänger dürften sich kaum noch daran erinnern, wann die Ökopaxe ihrer Führung das letzte Mal eine derart schallende Ohrfeige versetzten. Die Bütikofers, Künasts und Trittins hatten ein wildes Durcheinander zahlreicher Positionen zum Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr vorgelebt - und wurden dafür kollektiv vorgeführt. Nicht nur, dass das Parteivolk eine Klarheit erzwungen hat, die die Grünen außenpolitisch um Jahre zurückwirft. Der Parteitagsbeschluss kündet schlicht von der Unfähigkeit in den Führungsetagen von Partei und Bundestagsfraktion: Wo einst Joschka Fischer die Fäden in der Hand hielt, wenn es brenzlig wurde, sucht sich heute jeder gegen den anderen zu profilieren. Jürgen Trittin fühlt sich am ehesten berufen, in die Fußstapfen des grünen Übervaters zu treten. Aber der Parteitag hat gezeigt, dass auch ihm die Schuhe noch viel zu groß sind. Zur Erinnerung: Es waren die Grünen, die vor sechs Jahren deutsche Soldaten an den Hindukusch schickten. Damals trug man allerdings noch Regierungsmitverantwortung. Nun wollen die Grünen praktisch nichts mehr davon wissen. Dabei manifestiert sich die grüne Identitätskrise nicht erst seit dem Afghanistan-Streit. Ihren Bedeutungsverlust werden die Grünen nicht mit weltfremden Beschlüssen wie bei der Afghanistan-Frage wettmachen können. Pazifismus und Fundamentalopposition können nämlich andere inzwischen viel besser: Sie sitzen am linken Rand im Bundestag. Für eine Partei, die sich eigentlich für Bündnisse mit der Union und den Liberalen fitmachen müsste, um einer drohenden Dauerregentschaft der Großen Koalition Alternativen entgegenzusetzen, war Göttingen ein herber Schlag. nachrichten@volksfreund.de

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