Washington/Niersbach Zwischen Frau Karen und Herrn Trump

Washington/Niersbach · Jeff Mason ist einer von 13 Journalisten, die den US-Präsidenten täglich durch die ganze Welt begleiten. Doch so oft es geht, besucht der 42-Jährige seine „deutsche Mama“ in der Eifel. Jetzt war es mal wieder so weit.

Washington/Niersbach: Zwischen Frau Karen und Herrn Trump
Foto: Marek Fritzen

 „Präsident Trump habe ich gemeinsam mit einigen Kollegen von mir bisher zweimal direkt im Oval Office interviewt. Er ist in solchen Situationen stets sehr höflich, nett, fast schon charmant. Er fragt immer zunächst, was er einem zu trinken anbieten kann. Er hört sich die Getränkewünsche an und drückt dann auf eine Taste an seinem Schreibtisch. Er zeigt gerne, wie er das macht. Denn danach  kommt umgehend ein Kellner, um die Bestellungen entgegenzunehmen. Er mag es zu demonstrieren, was er als Präsident kann.“

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So eine Taste wie Donald Trump hat Anneliese Karen nicht. Ist aber auch nicht schlimm, stört Jeff Mason überhaupt nicht. Um an diesem Samstagmorgen einen Kamillentee serviert zu bekommen, braucht es keine Taste, da braucht es einfach nur Frau Karen.

„Jeff, willste ’nen Kaffee?“, fragt die 73-Jährige, während sie die Kühlschranktür öffnet, um schon mal die Kaffeesahne herauszuholen. „Lieber einen Tee, wenn das geht“, entgegnet Mason zögerlich in perfektem Deutsch. Es hat ihn ein wenig erwischt, kleine Erkältung. Eingefangen vielleicht in Washington, vielleicht in Berlin, wo er zwei Tage zuvor Bundespräsident Steinmeier getroffen hat.

Frau Karen lächelt und stellt die Kaffeesahne wieder in den Kühlschrank. Tee? Na klar, das geht auch. Für „meinen Dscheff“ – wie Anneliese Karen ihren Gast nennt –, für den würde die Pensionärin vermutlich alles tun. Besonders dann, wenn der 42-Jährige all den Trubel aus Washington D.C. für ein paar Tage in seinem kleinen Büro im Keller des Weißen Hauses hinter sich lässt, nur um bei Anneliese Karen in Niersbach die Ruhe der Eifel zu genießen.

 Jeff Mason Niersbach

Jeff Mason Niersbach

Foto: Marek Fritzen

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„Ich gehöre zu einem Pool aus circa 13 Korrespondenten, die täglich für verschiedene Medien aus dem Weißen Haus berichten. Mein Arbeitgeber ist die Nachrichtenagentur Reuters.  Wir White-House-Korrespondenten sind bei jedem Flug von Präsident Trump in der Air Force One dabei. Egal ob er dienstlich nach Afghanistan oder privat am Wochenende in sein Ferienhaus nach Florida fliegt. Vielleicht sehen wir ihn dann das ganze Wochenende nicht, das kann passieren. Aber wir sind dabei, falls etwas passiert. Wir haben dann ein Hotel dort, und wir bezahlen auch dafür. Der Steuerzahler hat dadurch keine Kosten. Wenn nichts passiert, arbeiten wir aus dem Hotel heraus an anderen Geschichten. Aber wenn ihm was passiert, sind wir da. Wenn er was sagen will, sind wir da.“

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Diese Geschichte von Anneliese Karen und Jeff Mason, die ist eigentlich viel zu surreal, um wahr zu sein, eher was für Hollywood oder so. Sie, die 73-jährige Seniorin aus Niersbach, dem kleinen Eifelort, die drei Kinder großgezogen, jahrelang die Lokalzeitung ausgetragen und in der Bäckerei im Ort Brot und Teilchen verkauft hat. Er, der 42-jährige Top-Journalist aus den USA, der täglich mit dem US-Präsidenten um die Welt fliegt – heute Washington, morgen Berlin, übermorgen Singapur. Wäre das alles ein Kinofilm, er würde vielleicht den Titel tragen: „Anneliese und Jeff, die unglaubliche Geschichte Teil II – der Besuch in Niersbach.“

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„Meine tägliche Arbeit hat sich verändert unter Präsident Trump. Spürbar ist das besonders in einem Punkt (lacht): Wir fangen früher an. Der Präsident steht früh auf und beginnt ab sechs Uhr, sich über Twitter zu melden. Daher beginnt unser Arbeitstag nun schon um sechs Uhr. Früher, unter Barack Obama, war das um sieben Uhr.“

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Teil I dieser surrealen Geschichte von Frau Karen und Herrn Mason erscheint Anfang September 2016 in dieser Zeitung. Der Titel damals: „Eine Eiflerin beim US-Präsidenten“. Wenn Anneliese Karen heute, an diesem Samstagmorgen im Frühsommer 2018, über das spricht, was auf den Artikel damals 2016 folgte, fasst sie sich mit der flachen Hand an die Stirn und beginnt, den Kopf zu schütteln. Jeff Mason auf der anderen Seite des Küchentischs kann sein Grinsen kaum verbergen.

„Ich hatte ja nicht im Ansatz geahnt, was da noch kommt“, sagt Karen lachend. Nicht nur, dass damals kurz nach Erscheinen des Zeitungsartikels das Team eines großen deutschen Fernsehsenders mit Übertragungswagen und Kamerateam vorfährt, einen Beitrag mit ihr dreht, der schon kurz darauf im Vorabendprogramm zu sehen ist.  Nein, seit Bekanntwerden der ganzen Story ist Karen in und um Niersbach zur Berühmtheit geworden. „Sogar auf einem Weinfest an der Mosel haben mich Leute angesprochen und gefragt: ‚Sie sind doch die Frau, die beim Obama war, oder?’“

Rückblick: Gemeinsam mit Jeff Mason besucht Anneliese Karen 2015 das Weihnachtsdinner im Weißen Haus. Der US-Präsident bittet dazu alljährlich die Hauptstadtpresse inklusive Angehörigen in das hohe Haus in Washington. Wochen zuvor hatte Mason Karen  spontan dazu eingeladen. Überwältigt vor Freude nahm diese die Einladung an, setzte sich in Frankfurt in den Flieger und jettete rüber nach Washington.

„Gemeinsam mit Jeff bin ich dann in den Empfangsraum im Weißen Haus, ganz langsam, und dann standen sie da: Barack Obama rechts, seine Frau Michelle links, an den Seiten geschmückte Weihnachtsbäume, hinter ihnen an der Wand ein Bild von George Washington. Beide strahlten uns an, als wir auf sie zukamen“, erinnert sich Karen.

Obama habe Mason beim Reingehen zugerufen: „Jeff, wen hast du uns denn da mitgebracht?“ Worauf der Journalist entgegnet habe: „Das ist meine deutsche Mutter.“ Der US-Präsident habe ihr daraufhin die Hand geschüttelt – „sehr fest“, wie sie betont – und gefragt, woher sie genau komme. „Ich habe ihm gesagt, dass ich die Anneliese Karen aus Niersbach in der Eifel bin, er lachte daraufhin, nickte kurz und sagte dann: ,Toll, heute Abend einen Gast aus Deutschland hier zu haben.‘“ Danach schüttelt Karen auch Michelle Obama die Hand, ein bisschen Small-Talk, ein Erinnerungsfoto zu viert und die Verabschiedung. „Er hat mir dann noch eine gute Heimreise gewünscht und einen guten Appetit. Dann ging‘s zum Essen.“ Der Tag, so betont die Eiflerin noch heute, sei der schönste in ihrem Leben gewesen.

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„Deutschland ist für die USA sehr wichtig. Aber Trump hat seinen eigenen Stil. Ich war dabei, als er seinen ersten Europa-Besuch als Präsident gemacht hat. Das war in Brüssel 2017. Es kam damals nicht gut an, dass er sagte: „Ihr müsst mehr zahlen“ – aber ich kann mich erinnern, dass Barack Obama das auch gesagt hat, vielleicht in einem anderen Stil, das schon, aber Trump ist nicht der erste Präsident, der das gesagt hat.“

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Gut zweieinhalb Jahre nach dem gemeinsamen Besuch im Weißen Haus nimmt Jeff Mason den letzten Schluck Kamillentee aus seiner Tasse in Karens Küche. Der US-Amerikaner ist am Abend zuvor in der Eifel eingetroffen. Unter der Woche war er auf Einladung von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Berlin zu Gast, nahm dort an einer Podiumsdiskussion teil. Bevor es für ihn zurückgeht in die Staaten, nimmt sich der 42-Jährige drei Tage Zeit für seine „deutsche Mama“.

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„Anfang 2017 habe ich zum ersten Mal mit Präsident Trump gesprochen. Es war auf einem Flug in der Air Force One. Eine Kollegin von mir fragte nach, ob wir uns mal vorstellen könnten. ,Ja klar, gerne’, hieß es. Wir sind alle zu ihm hin und haben ihm die Hände geschüttelt, uns  ganz nett unterhalten. Er fragte mich, für wen ich arbeite. Ich sagte für Reuters. Seine Beraterin stellte mich als Vorsitzenden der Korrespondenten im Weißen Haus vor (Mason hatte diese jährlich wechselnde Funktion von Juli 2016 bis Juli 2017 inne, Anm. d. Red.). Er wirkte sehr interessiert, fragte auch immer wieder nach.

Als wir dann allerdings in Florida gelandet waren, trat er wenige Minuten später in einem riesigen Flugzeug-Hangar vor zahlreichen seiner Anhänger auf. Sofort hat er die Medien kritisiert: Er sprach von ,Fake News‘,  ,CNN Sucks‘ – das Übliche. Das war ein Stück weit Ironie für mich: Uns gegenüber ist er sehr freundlich, um wenige Minuten später jedoch ein ganz anderes Gesicht zu zeigen. So ist er halt.“

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Um die Geschichte von Jeff Mason und Anneliese Karen verstehen zu können, lohnt ein Blick in die Siebziger. Als Jeff und sein Zwillingsbruder Brian im Jahr 1976 in der Eifel zur Welt kommen, leben ihre Eltern bereits seit zwei Jahren in Niersbach. Vater Fred arbeitet in der Verwaltung der US-Airbase Spangdahlem, ist für den Job mit seiner Frau Jan aus Colorado in das kleine Eifelörtchen gezogen. Beide finden eine Wohnung in der Niersbacher Köhlerstraße – in dem Haus, in dem auch Anneliese Karen mit ihrer Familie lebt.

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„Trump hat mich persönlich in meiner Arbeit verändert. Ich bin seit 2000 als Journalist tätig. Die Pressefreiheit wurde in dieser Zeit niemals infrage gestellt. Aber mit der Wahl Trumps war das plötzlich anders. Wir mussten erheblich für die Pressefreiheit kämpfen. Dafür beispielswiese, dass der Press-Pool, unser Journalistenteam, weiterhin im Weißen Haus bestehen bleiben darf. Und dafür, dass wir auch zukünftig in der Air Force One mitfliegen dürfen. Es war nicht sicher, dass das unter Trump bestehen bleibt. Da mussten wir eine klare Linie ziehen, deutlich machen, dass wir das nicht akzeptieren würden, falls nicht. Wir haben uns schließlich durchgesetzt.

Man muss vorsichtig sein, immer bereit sein, für die Pressefreiheit zu kämpfen. Wir werden weiter kämpfen, wenn es nötig ist, das kann ich versprechen.“

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Die Masons sprechen 1974 zunächst kein Deutsch, die Karens kein Englisch – doch beide Familien verstehen sich. Sie wachsen zusammen: Man feiert Geburtstage, fährt nach Trier zum Shoppen, passt gegenseitig auf die Kinder auf – Anneliese wird zu Jeffs und Brians „deutscher Mama“.

Als Fred und Jan wenige Jahre später mit den beiden Söhnen zurück in die USA ziehen, bleibt der Kontakt bestehen. Sie telefonieren, besuchen sich – mal in Deutschland, mal in den USA – und die Jungs bauen eine enge Beziehung zu Deutschland und Anneliese Karen auf. Während eines Deutsch-Kurses am Goethe-Institut in Boppard am Rhein besuchen die Zwillinge ihre „deutsche Mama“ in Niersbach regelmäßig.

Nach dem Journalistik-Studium an der Northwestern University von Chicago kommt Jeff Mason im Jahr 1999 im Rahmen eines Stipendiums nach Berlin, landet 2000 bei der Nachrichtenagentur Reuters in Frankfurt und legt in den Folgejahren eine steile Karriere hin:  2004 geht’s für Reuters nach Brüssel, Ende 2007 als Wahlkampf-Korrespondent und Ende 2008 als Korrespondent ins Weiße Haus. Dort erlebte er zunächst Präsident Obama, nun Präsident Trump.

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„Ich weiß nicht, ob sich Präsident Trump, bevor er seine Tweets absetzt, mit seinen Beratern abspricht. Ich weiß es wirklich nicht. Aber das würde ich ihn sehr gerne einmal fragen.“

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Am Niersbacher Küchentisch betont Frau Karen: „Immer wenn Jeff es irgendwie einrichten kann,  besucht er mich hier.“ Mason lächelt, als er die Worte vernimmt, dann sagt er: „Ich habe zwei Heimatorte: Einen in Colorado und einen hier bei Anneliese in Niersbach.“

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„Donald Trump spricht gerne mit Journalisten. Auch wenn es natürlich zu verurteilen ist, wenn er Journalisten als ,Feinde des Volks’ bezeichnet,  muss ich gestehen: Der Zugang, den wir mittlerweile zum Präsident haben, ist sehr gut. Der direkte Draht ist besser geworden als zu Obamas Zeiten.“

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Manchmal passiert es, dass Jeff Mason seiner „deutschen Mutter“ ganz nah und doch so fern ist – so wie vor kurzem. Da sitzt Mason in der Maschine von Mike Pence, begleitet den US-Vizepräsidenten gemeinsam mit Journalistenkollegen zu einem Staatsbesuch nach Asien.

Gut 100 Kilometer entfernt von Niersbach, auf der US-Airbase Ramstein in der Pfalz, legt die Maschine einen Tankstopp ein. Aussteigen verboten, aber Mason greift zum Handy – so viel Zeit muss sein: „Ich wollte Anneliese wenigstens kurz Hallo sagen, fragen, wie’s ihr geht.“ Die Seniorin ist unterwegs, sieht den Anruf jedoch kurze Zeit später auf dem Anrufbeantworter. Karen ruft sofort zurück und erwischt ihren Jeff noch gerade so vor dem Weiterflug. „Wir konnten immerhin kurz sprechen“, erzählt Mason am Küchentisch und blickt herüber zu Anneliese Karen. Sie grinst, dann sagt sie: „Ich bin immer froh, wenn ich von dir höre.“

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