Zwischen Fußball und Baustellen

Berlin . Man muss Geduld haben mit dieser eigensinnigen, sturen Stadt. Und behutsam vorgehen. Otto Schily hat’s immer gewusst. Im vergangenen Jahr schickte er dem Berliner Senat eine "herzliche Bitte" – Man möge doch reinklotzen und rechtzeitig zur Fußballweltmeisterschaft für ein Ende der Baustellen sorgen. Aber alles Flehen hat nicht viel genutzt.

Gut 30 Tage vor Beginn des Spektakels liegt rund ums Brandenburger Tor und entlang des Prachtboulevards "Unter den Linden" feiner Staub in der Luft. Es wird laut gebuddelt, gebaggert, aufgerissen, abgerissen und geteert. Wenn am 9. Juni die WM angepfiffen wird, wird eine imaginäre Mauer Berlin wieder trennen, und das genau am Brandenburger Tor. Vorne hui, hinten pfui. Vor dem deutschen Wahrzeichen, wo sich der Tiergarten, der Reichstag und die Parlamentgebäude befinden, treffen die erwarteten 300 000 Gäste auf eine heile, wenn auch umstrittene Fußballwelt. Dahinter jedoch, im Osten der Stadt, finden die Touristen das unfertige, aufgerissene Berlin, die Hauptstadt der Baustellen. Ausgerechnet dort, wo sie bummeln und Geld ausgeben sollen, wo viele Sehenswürdigkeiten der Stadt zu bestaunen sind, geben die Bagger und die Presslufthammer den Ton an. Von derzeit 27 Baustellen zwischen Brandenburger Tor und Alexander Platz werden 15 bis zur WM nicht fertig. "Typisch", mosern die Einheimischen, "komisch", wundern sich die Zugereisten. Im WM-Jahr wird der Palast der Republik abgerissen, das traditionsreiche Hotel Unter den Linden oder der Alexanderplatz zur Großbaustelle gemacht. Wegen des langen Winters, rechtfertigt sich der Senat, habe es viele Verzögerungen gegeben. Die Berliner Opposition sieht hingegen "schlechte Koordinierung" und wittert bereits ein Wahlkampfthema für die Abgeordnetenhauswahl im September. "Nach einer Vorlaufzeit von mehreren Jahren ist es unverständlich, warum der Senat die Innenstadt während der WM mit Baustellen überzieht", lautet die Kritik, die sich die rot-roten Spitzenpolitiker schon seit Wochen anhören müssen. Selbst die Fifa und das Organisationskomitee wurden vor einigen Monaten vorstellig. Vor allem sorgten sich die Funktionäre um den schönen Blick vom noblen Hotel Adlon auf das Brandenburger Tor. Denn auf dem Pariser Platz wird zurzeit ein U-Bahnhof für die neue Linie zum künftigen Hauptbahnhof gebaut. Fertig wird man entgegen ursprünglicher Planung natürlich nicht, die Baustelle soll dennoch abgebaut und nach der Weltmeisterschaft fortgeführt werden - den Fifa-Bossen und Touristen zu Liebe. Ganz anders wird sich Berlin rund um die Regierungsgebäude präsentieren. Dort warten Stadt und Parlament mit einer Fülle von extra aufgebauten Fußballattraktionen auf: Das Stahlskelett auf der Wiese vor dem Reichstag wächst jeden Tag, die meisten der 10 000 Sitzschalen der "Adidas-Arena" - ein Nachbau des Olympiastadions - sind montiert. Popkonzerte und Live-Übertragungen der Spiele werden in der "Schüssel" stattfinden. "Unmöglich ist nichts" steht auf den Werbeplakaten am Bauzaun. Und es stimmt: Wo sonst jeder Freizeitkicker vertrieben wird, durfte die Sportartikelfirma mit freudiger Zustimmung des damaligen Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse (SPD) den Rasen zubetonieren lassen, die Bäume fällen und die Hecken beseitigen. Zehn Millionen Euro kostet das "Event", das so manchen Kritiker auf den Plan gerufen hat: "Ich frage mich, wie die Bundestagsverwaltung das alle zulassen konnte", beklagt beispielsweise der Vorsitzende des Sportausschusses, Peter Danckert (SPD), die Überfrachtung des Regierungsviertels. Denn auf der "Straße des 17. Juni" wird auch noch Berlins Fanmeile eingerichtet. Und auf dem Areal zwischen Kanzleramt und Paul-Löbe-Haus haben die Bauarbeiten für die "Bundestagsarena" begonnen: 22 Meter hoch wird der 2,5 Millionen Euro teure Nachbau der gläsernen Reichstagskuppel. Im Innern sollen 550 Sitzplätze aufgebaut werden, wo Politiker während der WM mit den Fans diskutieren wollen. Ob die Fans wiederum mit ihnen reden möchten, ist offen. Nach jahrelangem Hickhack kann man zur WM dann endlich auch weltmeisterlich aufs Klo gehen im Regierungsviertel. Der neue Berlin-Pavillon (Kosten: zwei Millionen Euro) soll einen alten, schäbigen WC-Container am Rande des Tiergartens ersetzen. Oder den Gang in die Büsche.

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