Ausland Französische Regierung übersteht Misstrauensantrag knapp

Ein parteiübergreifender Misstrauensantrag ist in der Nationalversammlung gescheitert. Die Opposition will nun gegen die umstrittene Rentenreform vor dem Verfassungsrat klagen.

Französische Abgeordnete sitzen in der Nationalversammlung.

Französische Abgeordnete sitzen in der Nationalversammlung.

Foto: dpa/Lewis Joly

Charles de Courson saß 30 Jahre in der Nationalversammlung, ohne dass ihn jemand in Frankreich kannte. Das änderte sich am Montag, als der liberale Abgeordnete als Erster ans Rednerpult trat, um seinen parteiübergreifenden Misstrauensantrag gegen die Regierung zu präsentieren. „Wir verteidigen eine freie Gesellschaft, die jedem erlaubt, über die wichtigen Momente in seinem Leben zu entscheiden - einschließlich der Rente“, sagte der erklärte Gegner der von Präsident Emmanuel Macron geplanten Rentenreform, die das Renteneintrittsalter schrittweise von 62 auf 64 Jahre erhöht.

Der 70-Jährige schaffte es allerdings nicht, das Projekt zu stoppen: Sein Antrag verfehlte die absolute Mehrheit knapp um neun Stimmen. Regierungschefin Élisabeth Borne kann damit theoretisch im Amt bleiben, dürfte aber dennoch abberufen werden.

Von 287 Stimmen nötigen Stimmen erhielt der Misstrauensantrag von de Courson 278. Neben dem Linksbündnis Nupes stimmten auch der rechtspopulistische Rassemblement National, der einen eigenen Misstrauensantrag gestellt hatte, und mehr als 20 Abgeordnete der konservativen Républicains dafür. „Wir fürchten die Urnen nicht und sind bereit, uns erneut zur Wahl zu stellen“, versicherte die RN-Abgeordnete Laure Lavalette. „Wir werden noch zahlreicher zurück kommen, denn ich bin davon überzeugt, dass wir als Nächstes dran sind.“

Die Misstrauensanträge waren möglich geworden, nachdem Präsident Emmanuel Macron vergangene Woche entschieden hatte, die Rentenreform mithilfe des Artikels 49.3 die Rentenreform ohne Parlamentsvotum durchzusetzen. Damit wollte er einer möglichen Niederlage in der Nationalversammlung zuvorkommen, in der er seit den Parlamentswahlen im vergangenen Jahr nur noch eine relative Mehrheit hat. Doch die Opposition warf dem Staatschef vor, damit die demokratisch gewählte Volksvertretung zu missachten. „Der Artikel 49.3 ist nicht die Erfindung eines Diktators“, erwiderte Borne am Montag. Die Opposition will bereits am Dienstag das Verfassungsgericht anrufen, das die Verfassungsmäßigkeit des Vorgehens der Regierung prüfen soll.

10.000 Tonnen Müll in Paris nicht abgeholt

 Eine Frau geht an einem Müllberg in Paris vorbei.

Eine Frau geht an einem Müllberg in Paris vorbei.

Foto: AP/Aurelien Morissard

Macron ließ am Wochenende mitteilen, er wünsche sich, dass die Rentenreform „ihren demokratischen Weg bis zum Ende gehen kann, von allen respektiert.“ Gleichzeitig kündigte er Unterstützung für die Abgeordneten an, deren Wahlkreisbüros von Gegnerinnen und Gegnern der Reform angegriffen wurden. So zertrümmerten Demonstrierende die Scheiben des Büros des Chefs der konservativen Républicains (LR), Eric Ciotti, in Nizza. „Ich werde keiner Einschüchterung nachgeben, keiner Drohung und keinem Druck“, kündigte Ciotti an. Vergangene Woche hatte seine Partei entschieden, nicht für den Misstrauensantrag zu stimmen. Dennoch votierte fast ein Drittel der LR-Abgeordnete dafür. Ein Zeichen, dass Ciotti seine Leute nicht mehr im Griff hat und die Partei, die Frankreich Jahrzehnte lang regierte, auseinander zu brechen droht.

Nicht nur in Nizza, sondern auch anderswo griffen Demonstrierende Wahlkreisvertretungen an. Gleichzeitig streikten Raffineriemitarbeiterinnen und -mitarbeiter sowie die Müllabfuhr in mehreren Städten. In Paris stapelten sich 10.000 Tonnen Müll auf den Straßen.

Für Donnerstag ist ein weiterer groß angelegter Streik- und Protesttag geplant. Die Gewerkschaften, die bisher für einen friedlichen Verlauf gesorgt hatten, hatten im Falle einer Verabschiedung der Rentenreform am Parlament vorbei vor Gewalt gewarnt. Bereits direkt nach der Aktivierung des Verfassungsartikels 49.3 war es zu gewaltsamen Szenen in mehreren Städten gekommen. „Das Fehlen einer Antwort der Regierung auf eine kohärente und demokratische soziale Bewegung konnte nur zwei Gefühle wecken: entweder die Wut oder die Resignation“, sagte der Chef der gemäßigten Gewerkschaft CFE-CGC, François Hommeril, der Zeitung „Le Monde“. „Der 49.3 führt dazu, dass das Pendel zugunsten des Ersten ausschlägt.“

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