Berlin  Wie Weltstädte voll aufs Rad setzen

Berlin  · Bogotá lässt schon seit mehr als 45 Jahren sonntags keine Autos mehr auf viele Straßen. London macht  Stadtbezirke radfreundlicher.

 Ein Kran steht an der Kathedrale Notre-Dame.Die Pariser Kathedrale wurde bei einem Feuer am 15. April 2019 schwer beschädigt. Mittlerweile ist der Wiederaufbau voll im Gange. +++ dpa-Bildfunk +++

Ein Kran steht an der Kathedrale Notre-Dame.Die Pariser Kathedrale wurde bei einem Feuer am 15. April 2019 schwer beschädigt. Mittlerweile ist der Wiederaufbau voll im Gange. +++ dpa-Bildfunk +++

Foto: picture alliance/dpa/Le Pictorium Agency via ZUMA/Sadak Souici

(dpa)  Autofreie Sonn- und Feiertage auf vielen Straßen, stark verkehrsberuhigte Viertel, groß angelegte Umwidmungen von Straßen für den Radverkehr – von solchen Beispielen aus dem Ausland erhofft sich der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) Inspirationen für den Radverkehr in Deutschland. Der ADFC stellte jüngst einige dieser potenziellen Vorbild-Projekte vor.

ADFC-Bundesgeschäftsführer Burkhard Stork ist von den Vorbildern überzeugt: „Alle Beispiele, die wir vorgestellt haben, sind mit deutschen Regelwerken vereinbar.“ Siegfried Brockmann, Leiter der Unfallforschung der Versicherer (UDV), mahnte, verantwortliche Politik müsse alle Bürgerinteressen im Blick haben und moderieren.

Die einzelnen Projekte im Überblick:

Barcelona glänzt mit stark verkehrsberuhigten „Superblocks“: Seit 2017 setzt man in Barcelona auf „Superblocks“. Das Prinzip: In Quartieren von drei mal drei Wohnblöcken wird das Auto größtenteils verdrängt. Die Geschwindigkeit wird auf zehn Stundenkilometer beschränkt, es gibt Einbahnstraßen, Kraftfahrzeuge dürfen nur noch links abbiegen. Die Gebiete sollen so nur noch für Anwohner und den Lieferverkehr sinnvoll zu befahren sein. Gleichzeitig werden neue Grünflächen, Radwege oder Sitzflächen geschaffen.

Nach ADFC-Angaben verdoppelten sich die Grünflächen, die Stickstoffdioxid-Emissionen sanken um ein knappes Viertel und die Viertel wurden lebenswerter. Die Anzahl kleiner Läden in den Begegnungsbereichen sei um 30 Prozent gestiegen.

Unfallforscher Brockmann sagte, das Konzept gehe weit über die in Deutschland gut eingeführten «verkehrsberuhigten Bereiche» hinaus. Ansätze für eine solche grundsätzliche Umgestaltung gebe es etwa in Berlin, sie würden von Anwohnern sehr kritisch begleitet.


London: Bezirke werden zu „kleinen Hollands“: „Mini-Hollands“ werden drei Außenbezirke Londons genannt, die mit jeweils 30 Millionen Pfund (rund 33,4 Millionen Euro) Zuschuss von der Stadt fahrradfreundlicher gemacht wurden. „Mit dieser Finanzspritze könnte auch in deutschen Kommunen einiges beschleunigt werden“, sagte Unfallforscher Brockmann. Es wurden von der Straße getrennte Radwege, Fahrradparkhäuser sowie Radschnellwege ins Zentrum angelegt. Es gibt „modale Filter“, die nur bestimmte Fahrzeuge – etwa Fahrräder oder Busse – durchlassen. Statt Parkplätzen gibt es „Parklets“, kleine öffentliche Bereiche mit Grünflächen. Laut ADFC nahm der Verkehr in den verkehrsberuhigten Zonen um etwa die Hälfte ab. Anwohner fuhren mehr Rad, gingen mehr zu Fuß, Stickstoffdioxid- und Feinstaubbelastung gingen zurück. Der Einzelhandel nahm demnach um 30 Prozent zu, es gab weniger Leerstand.


Bogotá und Stockholm: Temporär autofrei: Viele Straßen in der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá sind an Sonn- und Feiertagen autofrei – und das bereits seit mehr als 45 Jahren. Insgesamt 127 Straßenkilometer stehen damit an 70 Tagen im Jahr Fußgängern und Radfahrern frei.  Die autofreien Straßen sind in zehn Hauptachsen unterteilt, die 145 Routen und Rundkurse ermöglichen. In Stockholm sperrt man seit 2017 mehrere Straßen gleich den ganzen Sommer lang für den Auto- und LKW-Verkehr. Von Mitte Mai bis Mitte September entstehen dort stattdessen Fußgängerzonen mit Pflanzen, Möbeln oder Pop-up-Parks. Bei 58 bis 71 Prozent der Anwohner – je nach Straße – finden die Maßnahmen demnach Zustimmung.


Paris: EIne Autometropole will fahrradfreundlich werden: Die französische Hauptstadt ist eigentlich stark vom Autoverkehr dominiert. Seit 2015 gibt es aber den „Plan Vélo“, laut ADFC eines der größten Projekte der Radverkehrsförderung weltweit. Ziel ist, Hunderte Kilometer Straße in ein durchgängiges Radverkehrsnetz umzuwidmen. Bereits 300 Kilometer Radwege wurden umgesetzt. Laut ADFC stieg die Zahl der Radler bereits wenige Monate nach Öffnung der neuen Radwege um rund die Hälfte. Mehr Frauen, Eltern und ältere Menschen legten nun ihre Alltagswege mit dem Rad zurück.

Paris habe sehr schnell ein großes Netz für den Radverkehr realisiert, sagte Brockmann. „Ein großes Netz ist aber noch kein sicheres Netz“, sagte er. Viele deutsche Kommunen seien auf einem besseren Niveau. Für Christophe Najdovski, bis April 2020 stellvertretender Bürgermeister von Paris, sind Schnellstraßen an der Seine nun ein „Radfahrer- und Fußgängerparadies“. Flächenumwidmungen hätten Plätze vom Kreisverkehr zu einem „richtigen Platz“ gemacht.

 Die Autometropole Paris möchte es mit dem „Plan Vélo“ schaffen, Radfahrern in der Stadt mehr Platz zu geben. Dafür hat man in Frankreichs Hauptstadt zahlreiche Plätze umgestaltet.

Die Autometropole Paris möchte es mit dem „Plan Vélo“ schaffen, Radfahrern in der Stadt mehr Platz zu geben. Dafür hat man in Frankreichs Hauptstadt zahlreiche Plätze umgestaltet.

Foto: picture alliance/dpa/AFP/Ludovic Marin

Umweltministerin Schulze sagte, auch Autofahrer profitierten von mehr Radverkehr: „Sie stehen vor allen Dingen deshalb im Stau, weil es zu viele Autos und noch zu wenige Radfahrende gibt.“ Ein Großteil des öffentlichen Raums gehöre dem Auto. Weniger Platz für Autos und Parkplätze bedeutete mehr Raum für platzsparende Mobilität, Spiel, Sport, Freizeit und wirtschaftliche Betätigungen wie Außengastronomie. „Flächen umzuwidmen und neu aufzuteilen ist daher ein ganz zentrales Element meiner Politik.“

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