Kommentar Scholz` Aufbruch ins Ungewisse

Berlin · Der neunte Kanzler der Bundesrepublik, der vierte der SPD: Olaf Scholz ist am Ziel seiner politischen Karriere. Die schwerste Zeit, die hat der Osnabrücker allerdings noch vor sich: Als Kanzler ist nahezu jeder Tag eine Bewährungsprobe.

Kommentar zum Start der Ampel-Koalition von Bundeskanzler Olaf Scholz
Foto: dpa/Bernd Von Jutrczenka

Unabhängig von jeglicher Parteipräferenz gilt es, ihm eine glückliche Hand an der Spitze des Landes zu wünschen. Zum Wohle des Volkes, zu dessen Schutz er sich beim Schwören der Eidesformel verpflichtet hat.

Es ist auch das Ende einer Ära. Nach sechzehn Jahren verabschiedet sich Angela Merkel von der Macht und mit ihr die Union aus dem Kanzleramt. Eine Dreier-Koalition wird übernehmen. Diese war schnell am Ziel: Bereits 73 Tage nach der Bundestagswahl übernehmen SPD, Grüne und FDP die Regierungsgeschäfte – im Vergleich zur vorangegangenen Wahl im Jahr 2017 waren die Ampel-Partner nun rund hundert Tage schneller.

Auf den neuen Kanzler warten große Herausforderungen. Die Corona-Lage im Land ist desaströs, vermutlich wird das erste Weihnachtsfest seiner Amtszeit ein sehr trauriges. Dem Schwur, „Schaden vom Volk abzuwenden“, muss Scholz sofort Folge leisten. Die hohen Corona-Todeszahlen sind eine sehr eindrückliche Mahnung. Eine drohende Kriegsgefahr in Europa, verbunden mit einem Käftemessen zwischen Russland und dem Westen, eine Klimakrise, deren Auswirkungen das Land in diesem Jahr heimgesucht haben – es wird keine Einarbeitungszeit für den neuen Kanzler und sein Kabinett geben. Scholz’ Vorteil liegt in seiner Regierungserfahrung, als Minister und Vizekanzler. Doch nun liegt die Richtlinienkompetenz bei ihm. Er, dem oft Arroganz nachgesagt wird, wird das hohe Amt mit Demut angehen müssen.

Es lohnt auch ein Blick auf die künftige größte Oppositionspartei im Bundestag, die Union. Die Fraktion, allen voran ihr Chef Ralph Brinkhaus (CDU) und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt haben die neue Rolle erstaunlich schnell angenommen.

Sie wissen: Der Ampel-Vertrag bietet der Union zahlreiche Angriffspunkte, um die eigenen Standpunkte differenziert zu vertreten: Cannabis-Freigabe, der umstrittene Paragraf 219 a, das Wahlalter, Belastungen der Bürger – es gibt schon vieles, an dem sich die konservative Opposition reiben kann. Doch so herzhaft, wie die Union mit sich selbst streitet seit einigen Jahren, braucht es ein Sich-Schütteln, um die internen Konflikte zu befrieden – und dann auf Angriff zu schalten. Im Unterschied zu vorher allerdings diesmal auf den politischen Gegner.

Der Tag der Kanzlerwahl ist abseits jeder Parteipolitik vor allem ein Festtag der deutschen Demokratie. Das Land hat es inmitten der weltweiten Corona-Pandemie geschafft, die Macht im Staat friedlich zu übertragen. Mit Anstand und Würde. Von der Kanzlerin zum Kanzler, von Minister zu Ministerin. Politische Gegner begegnen sich auf Augenhöhe. Spätestens seit dem Sturm auf das US-Kapitol ist dies in der parlamentarischen Welt keine Selbstverständlichkeit mehr. Es lässt für die Zukunft hoffen. Möge diese politische Kultur Bestand haben. 

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