Leitartikel zum Atomstrom Der Energiehunger ist groß, das Gedächtnis kurz

Die Lichter sind nicht ausgegangen. Man könnte eine ganze Zeitungsseite mit den Warnungen füllen, die vor zehn Jahren geäußert wurden, als die Bundesregierung nach der Havarie von Fukushima beschloss, eilig aus der Atomenergie auszusteigen. Sie waren alle falsch. Inzwischen macht Strom aus Wind und Sonne fast die Hälfte der Erzeugung aus und ist bald so billig wie der aus Atom oder Kohle.

 Werner Kolhoff

Werner Kolhoff

Foto: SZ/Robby Lorenz

Beim Atom war die Kostenrechnung ohnehin immer geschönt. Fukushima hat das schlagartig gezeigt. Die Folgen eines möglichen Gaus waren nämlich nie enthalten. Eine ganze Region wurde in Japan kontaminiert, die Kernzone ist bis heute komplett unbewohnbar. Die Konzerne haben die Gewinne kassiert. Den Schaden muss indes die Gemeinschaft tragen.

Atomstrom ist nicht nur nicht billig, er ist auch nicht sicher. Vorher gab es schon die Katastrophen in Tschernobyl, Ukraine, und Three Mile Island, USA. Drei schwere Havarien in nur einem halben Jahrhundert ziviler Nutzung der Atomkraft zeigen: Diese Technologie ist zu riskant. Mal ist es ein technisches Problem, mal ein Erdbeben, mal eine menschliche Fehlleistung. Es ist aber unverantwortlich und sogar ein Tabubruch, etwas in Gang zu setzen, das nie versagen darf.

Überall, auch in Europa, erlebt die Atomkraft gerade eine Renaissance. Der Energiehunger der Welt ist groß, das Gedächtnis dagegen kurz. Es ist eine Wette, dass es diesmal gut gehen wird. Russisches Roulette. Angeblich können sonst die Vorgaben des Klimaschutzes nicht eingehalten werden. Sie können sehr wohl, auch das wird Deutschland mit dem Kohleausstieg beweisen. Hinter dem Ruf nach dem Atom stehen die Interessen einer Industrie, die ihre Gewinne nicht mit vielen kleinen Stromanbietern teilen möchte, wie sie für die erneuerbaren Energien typisch sind. Und die dafür zusammen mit ihren politischen Lobbyisten (in Deutschland nur noch die AfD) sowohl die Kosten als auch die Gefahren kleinredet. Bis zum nächsten Gau.

Auch die Entsorgung des strahlenden Mülls ist in der Kostenrechnung nicht enthalten. Im Bergwerk Asse in Niedersachsen kann man sehen, wie die Atomlobby damit umzugehen gedachte: Einfach in den Untergrund kippen, Erde drauf und vergessen. Das zurückzuholen, weil das Grundwasser gefährdet ist, kostet jetzt erneut Milliarden. Und wieder hat die Gemeinschaft dafür zu zahlen. Der stark radioaktive Müll muss sogar eine Million Jahre lang sicher endgelagert werden. Länger als es Menschen bisher überhaupt gibt. Und keiner will so ein Lager bei sich in der Nähe haben, auch nicht die, die zuvor der Atomkraft das Wort geredet haben. Es ist ein weiterer moralischer Tabubruch, nachfolgenden Generationen solches Zeugs zu hinterlassen.

Fukushima hat der Welt am 11. März 2011 die Chance gegeben, von diesem Irrweg abzugehen. Und Deutschland hat diese Chance genutzt. Und sollte unbedingt dabei bleiben.

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