Erneuter Polit-Paukenschlag Bundestag: Linke-Abgeordneter aus dem Saarland wechselt zur SPD
Exklusiv · Nach dem donnernden Abgang von Oskar Lafontaine kurz vor der Landtagswahl 2022 im Saarland muss die Linke jetzt erneut einen Verlust verkraften. Und das in ihrer größten Krise. Im Bundestag wird ihre Fraktion schrumpfen.
Ist die Linke noch zu retten? Oder erodiert sie vollends bis zum bitteren Zerfall? Zumindest muss die tief in der Krise steckende Partei einen weiteren Verlust verkraften. Denn ihr einziger Bundesparlamentarier aus dem Saarland kehrt ihr den Rücken. Und wendet sich einer anderen zu.
Bundestagsmitglied aus Saarbrücken verlässt die Linke
Nach Informationen der Saarbrücker Zeitung will Thomas Lutze, bis vergangenes Jahr Landesvorsitzender der Partei, seinen Austritt erklären. Noch an diesem Sonntag, 8. Oktober, soll eine entsprechende E-Mail an die Linke gehen. Damit verliert sie nach Oskar Lafontaine den nächsten hochrangigen Vertreter.
Auf Nachfrage bestätigt Lutze, das er nach knapp 30 Jahren die Linke verlässt. „Ich werde noch heute meinen Austritt erklären“, sagt der 54-Jährige. Mit der Bekanntgabe seiner Entscheidung habe er bewusst das Ende der Landtagswahlen in Bayern und Hessen abwarten wollen. Er habe so zu verhindern versucht, sich dem Vorwurf auszusetzen, den Ausgang zu beeinflussen.
Lutze will sein Bundestagsmandat behalten
Doch damit nicht genug. Der Saarbrücker will sein Bundestagsmandat behalten. Und kündigt zugleich seinen Eintritt in die SPD an. Seinen Informationen zufolge soll dies rasch erfolgen. Denn er habe bereits mit Fraktionschef Rolf Mützenich über seine Aufnahme in die Bundestagsfraktion gesprochen und eine Zusage erhalten.
Christian Petry bestätigt dies gegenüber der SZ. Der Sozialdemokrat sitzt für den Wahlkreis St. Wendel im Bundestag. „Ja, Thomas Lutze hat mit Rolf Mützenich über seinen Wechsel gesprochen.“ Der Fraktionsvorsitzende habe versichert, den scheidenden Linke-Politiker „kollegial aufzunehmen“. Dies soll bereits am Dienstag, 10. Oktober, offiziell geschehen. Voraussetzung allerdings sei, dass Lutze zu jenem Zeitpunkt bereits das SPD-Parteibuch innehat, um verfahrenstechnische Abläufe zu vereinfachen. Die Aufnahme eines zunächst parteilosen Abgeordneten sei komplizierter, erklärt Petry, der auch Generalsekretär der Saar-SPD ist.
Politiker sprach bereits mit SPD-Bundestagsfraktionschef Mützenich über Wechsel
Allerdings seien Lutze „keinerlei Zusagen oder sonstige Versprechungen“ durch seinen anstehenden Wechsel seitens Mützenich oder generell der Partei gemacht worden, versichert Petry. Dies hatte zuvor auch schon Thomas Lutze bestätigt. „Ich komme weder mit einer Forderung, noch wurde mir etwas geboten.“ Er gehe davon aus, dass die jetzige Legislaturperiode seine letzte im Bundestag ist.
Seit 2009 gehört er dem deutschen Parlament in Berlin an. Der gebürtige Sachse kam nach eigenen Angaben Ende 1991 zum Studium nach Saarbrücken und blieb. Im März 1994 sei er im Vorfeld der saarländischen Kommunal- und Europawahl in den saarländischen Landesverband der damaligen PDS (Partei des Demokratischen Sozialismus) als Nachfolger der DDR-SED eingetreten. Diese fusionierte im Juni 2007 mit der westdeutschen WASG (Wahlalternative für Arbeit und Soziale Gerechtigkeit) zur heutigen Linke.
Saar-Linke verliert nach Lafontaine dessen Erz-Rivalen
Deren Vorsitzender war Lutze im Saarland von 2019 bis 2022. Bereits ab 2007 bis 2017 hatte er bereits dem Landesvorstand angehört, war währenddessen unter anderem Geschäftsführer und Schatzmeister.
Bekannt ist die Erz-Rivalität mit seinem Gegner Oskar Lafontaine, der zuletzt Linke-Fraktionschef im Saar-Landtag war. Dieser hatte Lutzes Spitzenkandidatur für den Bundestag 2021 mit Vorwürfen öffentlich torpediert. Demnach warf Lafontaine seinem Widersacher unter anderem Manipulationen vor. Auf Bundesebene wies die Linke diese Anschuldigungen gegenüber Lutze mittlerweile als haltlos zurück.
Lutzes Weggang und der Linke-Fraktionsstatus in Berlin
Lafontaine verließ am 17. März die Linke – zehn Tage vor der Landtagswahl im Saarland. Die Partei verfehlte den Wiedereinzug ins Landesparlament. Kritiker gehen bis heute davon aus, dass Lafontaines Rückzug einer der Gründe für das Scheitern der Linke war.
Genau dies habe Thomas Lutze mit seiner Erklärung erst am heutigen Tage verhindern wollen. Ein weiterer Grund, warum er zum jetzigen Zeitpunkt die Partei verlässt – dazu sagt Lutze: „Ich möchte nicht das Zünglein an der Waage sein, dass durch meinen Weggang die Linke ihren Fraktionsstatus verliert.“
Warum Saar-Politiker nach knapp 30 Jahren die Linke verlässt
Die verfügt aktuell noch über 39 Mitglieder. Offiziell gilt eine Mindestgröße von 37 Politikern für eine Fraktion. Wenn eine Partei ihren Fraktionstitel verliert, geht damit der Verlust zahlreicher Privilegien einher. So ginge unter anderem der Redeanteil bei Parlamentsdebatten erheblich zurück. Außerdem könnte die Linke keine großen Anfragen mehr an die Bundesregierung stellen, um Sachverhalte zu klären. Diese werden im Plenum debattiert, wenn die Regierung sie nicht beantwortet.
Schon jetzt nehme Lutze kaum noch wahr, dass seine bisherige Partei „ein linkes Korrektiv“ zu sozialen Fehlentwicklungen darstellt. „Das ist schon seit Jahren so. Die Linke ist einfach strategisch schlecht aufgestellt.“
Auch Linke-Kreiverband Saarbrücken ist betroffen
Mit der möglichen Bildung einer neuer Partei durch Sahra Wagenknecht drohe eine Abspaltung weiterer Linke-Abgeordneter. Die auch in ihren eigenen Reihen umstrittene Politikerin ist seit 2009 Bundesparlamentarierin. Seit geraumer Zeit wird darüber spekuliert, dass sie wegen des Konflikts mit einer neuen politischen Gruppierung in die nächsten Wahlen zieht. Die 54-Jährige ist seit Dezember 2014 mit Oskar Lafontaine verheiratet.
Die Linke muss sich mit Lutzes Weggang auch im Kreisverband Saarbrücken um eine Nachfolge an der Spitze suchen. Denn er ist seit 2018 dessen Vorsitzender. „Ich weiß nicht, ob es jetzt gleich Neuwahlen geben wird. Es gibt noch vier Stellvertreter.“
So reagiert Saar-SPD-Vorsitzende Anke Rehlinger
Mittlerweile reagierte die Saar-SPD auf den angekündigten Wechsel von Lutze. Demnach verlautbart ein Parteisprecher in Saarbrücken:
„Thomas Lutze wird nicht in die Saar-SPD aufgenommen. Das ist die einhellige Haltung des Präsidiums der Saar-SPD. Wir importieren uns nicht die innerparteilichen Konflikte der Saar-Linkspartei.“
Lutze seinerseits zeigte sich nach dieser Reaktion verwundert. Er lebe seit 30 Jahren hier im Saarland. Nun könne er sich vorstellen, in Berlin an seinem zweiten Wohnsitz zu den Sozialdemokraten zu stoßen.