Ausland Streiks in Frankreich: Showdown um die Rentenreform

Über die Einführung der Rente mit 64 in Frankreich entscheiden die nächsten Tage. Die Gewerkschaften geben in ihrem Widerstand keinen Fingerbreit nach.

Rentenreform: Gewerkschaften wollen Frankreich lahmlegen
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Rentenreform: Gewerkschaften wollen Frankreich lahmlegen

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Die französischen Gewerkschaften beschwören die alten Bilder von 1995 wieder herauf: Fast einen Monat wurde damals gegen die geplante Rentenreform der konservativen Regierung gestreikt. Der Müll stapelte sich, die Züge standen still und die Schulen blieben geschlossen. Und zwar so lange, bis die Reform zurückgezogen wurde.

Genau das wollen die Arbeitnehmervertreter auch diesmal erreichen. Am Dienstag begannen sie mit Streiks, Blockaden und Kundgebungen ihre bisher stärkste Mobilisierungsphase gegen die Erhöhung des Renteneintrittsalters von 62 auf 64 Jahre. In den kommenden Tagen soll das öffentliche Leben so stark eingeschränkt werden, dass die Regierung ihre Pläne aufgibt, lautet das Kalkül.

In den meisten Städten gingen am Dienstag mehr Menschen auf die Straße als an den ersten fünf Protesttagen. Der Chef der gemäßigten Gewerkschaft CFDT, Laurent Berger, zählte 20 Prozent mehr Teilnehmende in Paris. „Die Wut der Welt der Arbeitenden wird immer stärker“, sagte der 54-Jährige. Erstmals seit Jahren bilden die größten Gewerkschaften eine gemeinsame Front gegen die Rentenpläne der Regierung.

Die Einigkeit ist allerdings durch den radikalen Flügel der kommunistisch geprägten Gewerkschaft CGT gefährdet, der die Protestbewegung deutlich verschärfen will. Ziel sei es, die Wirtschaft des Landes in den kommenden Tagen „in die Knie zu zwingen“, hieß es von den besonders kämpferischen Spartengewerkschaften für Chemie, Bergbau, Energie, Häfen und Eisenbahnen.

„In Richtung der größten Mobilisierung der vergangenen 40 Jahre“

Erste Anzeichen einer Blockade zeigten sich bereits am Dienstag: Aus allen Treibstofflagern des Landes wurden die Lieferungen eingestellt. An den Tankstellen begannen Autofahrerinnen und Autofahrer damit, ihre Kanister mit Benzin zu füllen, um vorzusorgen. Bei der Bahn SNCF streikten 39 Prozent der Beschäftigten, in den Grundschulen waren es rund 35 Prozent und beim staatlichen Stromkonzern EDF 41 Prozent.

In mehreren Städten, darunter Paris, wurde seit Montag der Müll nicht mehr abgeholt, so dass er sich auf den Straßen stapelte. Und die Streiks sollen in den nächsten Tagen fortgesetzt werden. „Wir bewegen uns in Richtung der größten Mobilisierung der vergangenen 40 Jahre“, sagte CGT-Chef Philippe Martinez.

Für CGT und Co., die in den vergangenen Jahren vergeblich gegen die Reformpläne von Präsident Emmanuel Macron protestiert hatte, geht es bei der Rentenreform ums Überleben. Die Protestbewegung bescherte den Gewerkschaften in den vergangenen Wochen einen starken Zulauf. Langfristig müssen die Arbeitnehmervertretungen ihren neuen Mitgliedern allerdings zeigen, dass sie deren Interessen durchsetzen. Zuletzt hatte die Gewerkschaften 2006 einen Erfolg errungen, als sie die damals regierenden Konservativen zum Verzicht auf einen geplanten Erstanstellungsvertrag zwangen, der Berufseinsteiger schlechter stellen sollte.

Doch auch für die Regierung steht mit dem Vorzeigeprojekt Macrons die eigene Zukunft auf dem Spiel. Muss der als Reformer angetretene Präsident doch zeigen, dass er auch ohne absolute Mehrheit in der Nationalversammlung in der Lage ist, in seiner zweiten Amtszeit noch Vorhaben umzusetzen. Die Debatte um die Rentenreform war in der Assemblée National chaotisch verlaufen: Das oppositionelle Linksbündnis Nupes hatte mit rund 20.000 Änderungsanträgen und einem aggressiven Ton jeden Fortschritt blockiert.

Ohne Votum hatte die Nationalversammlung das Projekt deshalb Mitte Februar an den Senat, die zweite Parlamentskammer, weitergereicht. Dort wird der Text noch bis zum Sonntag debattiert, bevor er dann im Vermittlungsausschuss landen dürfte. Ein abschließendes Votum in der Nationalversammlung könnte bereits in zehn Tagen möglich sein. Dafür braucht Macron allerdings die Stimmen der konservativen Republikaner, die zwar generell für eine Anhebung des Renteneintrittsalters sind, aber Nachbesserungen verlangen.

In der Bevölkerung ist der Widerstand gegen Macrons Pläne groß: Seit Wochen sind gleichbleibend rund 70 Prozent der Französinnen und Franzosen gegen die Rente mit 64. Grund ist der Zickzack-Kurs der Regierung, die die Reform unter dem Druck der konservativen Opposition immer wieder veränderte, so dass ihr Nutzen nun kaum noch zu erkennen ist. Trotz der großen Empörung scheinen die Französinnen und Franzosen dennoch damit zu rechnen, dass die Reform umgesetzt wird: nur 34 Prozent glauben, dass das Projekt zurückgezogen wird.

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