EU Wer wird Junckers Nachfolger bei der EU?

Brüssel · Machtprobe tobt zwischen dem Parlament und den Regierungen in den europäischen Hauptstädten.

 Trotz seiner offensichtlichen Liebe zur EU will Jean-Claude Juncker nicht noch einmal EU-Kommissionschef werden. Über seine Nachfolge wird hinter den Kulissen heftig gestritten.

Trotz seiner offensichtlichen Liebe zur EU will Jean-Claude Juncker nicht noch einmal EU-Kommissionschef werden. Über seine Nachfolge wird hinter den Kulissen heftig gestritten.

Foto: dpa

Zwischen dem Europaparlament und dem Rat, also dem EU-Gremium der Mitgliedstaaten, bahnt sich eine Machtprobe an. Es geht darum, wer nach der nächsten Europawahl 2019 über den Präsidenten der EU-Kommission entscheiden darf. Manfred Weber (CSU), Chef der mit 217 Sitzen größten EVP-Fraktion im Europaparlament, warnte die Regierungschefs: „Das Parlament wird 2019 keinen Kandidaten für den Posten des EU-Kommissionspräsidenten akzeptieren, der nicht vorher bei den Wahlen von den Parteien als Spitzenkandidat präsentiert worden ist.“ Bei der sich anschließenden Abstimmung stellte sich das Parlament mit einer breiten Mehrheit hinter das sogenannte Spitzenkandidaten-Konzept.

Hintergrund ist: Bis 2014 hatten die Staats- und Regierungschefs stets unter sich ausgemacht, wer der nächste Chef der EU-Kommission wird. Meist fiel ihre Wahl auf einen ehemaligen Regierungschef. Der Kandidat wurde dann dem europäischen Parlament präsentiert, das ihn per Wahl lediglich bestätigen durfte. Ein echtes Mitspracherecht über die wichtige Personalie aber hatte das Parlament nicht.

2014 heckten dann einige Parlamentarier, darunter der Grüne Reinhard Bütikofer und der damalige führende Europapolitiker der Sozialisten und heutige designierte Außenminister Martin Schulz (SPD), einen Plan zur Stärkung des Europaparlaments aus. Sie beriefen sich auf eine Passage im Vertrag von Lissabon und setzten durch, dass Kommissionspräsident der Kandidat der europäischen Parteienfamilien wird, die das beste Ergebnis eingefahren hat.

Die Regierenden in den Hauptstädten, darunter auch Angela Merkel, waren schon damals alles andere als begeistert. Letztlich stellten sie sich aber nicht quer und ließen zu, dass der Spitzenkandidat der christdemokratischen Parteienfamilie Jean-Claude Juncker an die Spitze der Kommission gewählt wurde.

Nun gibt es aber Bestrebungen unter den Staats- und Regierungschefs, den Spitzenkandidaten wieder abzuschaffen. Vor allem Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hält nichts davon. Vermutlich auch aus machttaktischen Motiven: Er hat mit seiner jungen Partei „En Marche“ bislang keine Allianz mit einer der großen Parteienfamilien im Europaparlament geschlossen. Bleibt es beim Spitzenkandidaten-Prozess, hätte er kaum die Möglichkeit, Einfluss auf die Personalie zu nehmen. Wie aus Berlin zu hören ist, ist Merkel weiterhin nicht begeistert von dem Spitzenkandidaten.

Es war niemand geringeres als der jetzige Kommissionspräsident, der zuvor die Parlamentarier zum Kämpfen aufgefordert hat. Jean-Claude Juncker mahnte im Plenum: „Ich sage nur, die Gefahr ist groß.“ Es gebe bei den Regierungen in den Hauptstädten „fast eine Mehrheit“ gegen das Konzept der Spitzenkandidatur.

Jetzt wird es spannend: In zwei Wochen wollen sich die Staats- und Regierungschefs der EU bei einem informellen Gipfel festlegen, wie die nächsten Europawahlen ablaufen sollen. Dabei werden sie auch eine Entscheidung zum Spitzenkandidaten treffen. Ihre Entscheidung muss einstimmig fallen. Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn haben bereits angekündigt, dass sie das Konzept ablehnen werden.

Den Staats- und Regierungschefs ist auch das letzte Wort bei der Frage vorbehalten, wie groß das Europaparlament nach dem Brexit ausfallen soll. Klar ist, dass 73 Sitze der Abgeordneten aus Großbritannien wegfallen sollen. Das Parlament schlägt vor, dass das Parlament von 751 auf 705 Abgeordnete verkleinert wird. Das wäre eine Verkleinerung um 46 Sitze. 27 Sitze sollen auf 14 Mitgliedstaten verteilt werden, die derzeit gemessen an ihrer Einwohnerzahl zu wenige Abgeordnete stellen. So sollen Frankreich und Spanien je fünf Abgeordnete mehr bekommen. Die Zahl der Abgeordneten aus Deutschland soll sich nicht ändern. Deutschland stellt bereits 96 Abgeordnete, dies ist die Höchstzahl, wie sie im Lissabon-Vertrag festgeschrieben wurde.

Im Parlament hatte es eine lebhafte Debatte darüber gegeben, ob bei der nächsten Europawahl erstmals 27 Kandidaten auf europaweiten Listen antreten sollen. Die Befürworter, überwiegend Sozialisten, Liberale und Grüne, argumentieren, dass so das Interesse der Wähler an Europawahlen gestärkt werden könne.

Damit werde das Bewusstsein für eine gemeinsame europäische politische Öffentlichkeit gestärkt. Jo Leinen (SPD) verspricht sich davon den Ausbruch des Europaparlaments „aus dem Gefängnis der nationalen Politik“: Endlich bestehe dann die Chance, europapolitische Themen im Wahlkampf um die Sitze in Straßburg zu thematisieren.

Die Gegner, darunter die meisten Abgeordneten aus der christdemokratischen Parteienfamilie, vermissen bei den so genannten transnationalen Listen die Bürgernähe. Elmar Brok (CDU): „Ich möchte nicht auf einer Liste von Helsinki bis Sizilien stehen, sondern in Westfalen/Lippe, wo die Bürger mit meinem Namen etwas anfangen können.“

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