Arbeitsmarkt Sozialsektor braucht mehr Grenzgänger

Luxemburg · Der Luxemburger Sozialsektor wächst und wächst: Doch immer mehr Stellen können nicht besetzt werden. Selbst die steigende Zahl deutscher und französischsprachiger Grenzgänger kann den Fachkräftemangel nicht mehr decken.

 Die meisten Stellenangebote gibt es aktuell im Bereich Kindheit, Jugend und Familie, gefolgt von dem Bereich Behindertenarbeit sowie Alter und Pflege. Doch die rund 2000 offenen Stellen können derzeit kaum besetzt werden.

Die meisten Stellenangebote gibt es aktuell im Bereich Kindheit, Jugend und Familie, gefolgt von dem Bereich Behindertenarbeit sowie Alter und Pflege. Doch die rund 2000 offenen Stellen können derzeit kaum besetzt werden.

Foto: dpa/Christophe Gateau

Wer in Deutschland eine Ausbildung im sozialen Sektor macht oder gar ein Studium absolviert hat, wird mit Kusshand genommen. Wer mit einer solchen Qualifikation jedoch in Luxemburg auf den Arbeitsmarkt tritt, wird quasi gleich vom Markt aufgesogen. Denn rund 2000 offene Stellen stehen rund 50 Absolventen jährlich gegenüber, die an der Universität Luxemburg ihren Abschluss in Sozial- und Erziehungswissenschaften machen. „Der soziale Bereich umfasst das Leben der Bevölkerung in allen Facetten von der Wiege bis zur Bahre. Und hier gibt es teilweise einen Riesenmangel“, stellt Petra Böwen, Verantwortliche des berufsbegleitenden Bachelor in Sozial- und Erziehungswissenschaften (BSSE) und Ko-Verantwortliche des akademischen BSSE an der Universität Luxemburg, in einer Untersuchung zum Luxemburger Arbeitsmarkt im Sozialsektor fest. Allein wenn sich die Politik ändere, komme es schnell zu Verwerfungen, weil plötzlich Fachpersonal fehle. „Die Nachfrage nach Fachkräften im sozialen Sektor steigt seit 2014 kontinuierlich“, hält sie fest.

Als Beispiel nennt Böwen die Reform des Sozialhilfegesetzes im Großherzogtum, nach der „auf einen Schlag“ etwa 50 Sozialarbeiter gefragt gewesen seien. Noch krasser stellt sich der Fall des Gesetzes zur kommunalen Kinderbetreuung dar, nach der laut Böwen mehrere Tausend Stellen für erzieherisches Hilfspersonal geschaffen worden seien.

Und die Zahlen der Interregionalen Arbeitsmarktbeobachtungsstelle (IBA) in Saarbrücken zeigt: Allein zwischen 2016 und 2017 sind im Luxemburger Gesundheits- und Sozialsektor rund 2000 Stellen neu geschaffen worden. Davon haben auch Deutsche (plus 4,5 Prozent), Franzosen (plus 7,1 Prozent) und Belgier (plus 6,4 Prozent) profitiert. Damit gehört die Branche nach den wirtschaftlichen Dienstleistungen zu den Sektoren mit dem größten Stellenzuwachs. Heißt: Bei 37 000 Beschäftigten im Gesundheits- und Sozialwesen sind 13 000 davon Grenzgänger aus Deutschland (4440), Frankreich (5570) und Belgien (2670). Weitere 8000 Beschäftigte sind Ausländer mit Wohnort Luxemburg. Damit arbeiten rund zehn Prozent aller deutschen Grenzgänger laut der IBA im Gesundheits- und Sozialwesen. Nur in der Baubrache und im Banken- und Versicherungssektor sind noch mehr Deutsche beschäftigt.

Doch der Fachkräftemangel im Luxemburger Sozialwesen wird immer größer. Nach der Auswertung aller Stellenangebote von privaten, gemeinnützigen, staatlichen und kommunalen Trägern seit 2014 durch das Praxis-Büro der Uni Luxemburg mit Böwen und Céline Dujardin ist die Zahl der Annoncen um 108 Prozent innerhalb von vier Jahren gestiegen. Dabei steigt die Nachfrage vor allem nach hoch qualifizierten Mitarbeitern und universitär ausgebildeten Fachkräften (plus 182 Prozent). Am häufigsten gesucht werden Mitarbeiter mit Fachabitur, Sozialassistenten und Sozialarbeiter mit Bachelor-Abschluss. Ebenfalls auffallend: 63 Prozent der Stellen waren unbefristet, drei Viertel der Annoncen waren auf Französisch verfasst, bei immerhin 91 Prozent der Angebote wurde Luxemburgisch als Qualifikation verlangt.

Fast die Hälfte der Stellenangebote kam von gemeinnützigen Einrichtungen wie dem Roten Kreuz, der Caritas, Arcus oder Elisabeth, die Hauptsektoren waren Kindheit, Jugend und Familie, Benachteiligung und Chancengleichheit sowie Alter und Pflege. Auffallend dabei ist, dass der Staat ausschließlich höher qualifizierte Mitarbeiter sucht.

 ARCHIV - 10.01.2019, Nordrhein-Westfalen, Dortmund: Ein Erzieher im Kindergarten bespricht mit Kindern zur musikalischen Früherziehung ein Buch über Zootiere. Wie kommen Kitas an mdehr Personal? Die OECD legt dazu am 14.06.2019 im Rahmen der Fachtagung ·Investitionen in Erzieherberufe - Investitionen in die Zukunft· einen Bericht mit Empfehlungen vor. Foto: Bernd Thissen/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

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Foto: dpa/Bernd Thissen

„Es gibt auch im Sozialbereich einen Trend zur Akademisierung“, stellt Petra Böwen fest. „Dies ist zwar fürs Management nötig. Allerdings braucht man auch eine Menge Kräfte, die bereit sind, mit der Zielgruppe zu arbeiten“, sagt sie. Grenzgänger hätten daher auf dem Luxemburger Arbeitsmarkt gute Chancen. „Wer die Fahrt nach Luxemburg auf sich nimmt, hat im Großherzogtum mehr Möglichkeiten, weil dies ein wachsender Sektor in allen Qualifikationsniveaus ist“, sagt sie. Grenzgänger seien immer dann interessant, wenn ihr Profil „spezifisch“ sei. Luxemburgisch zu sprechen, sei auf jeden Fall ein Vorteil, ganz ohne Französisch zu können, werde es schwierig, „weil vieles in der Gesetzgebung auf Französisch läuft. Aber: Sie müssen nicht perfekt sein.“

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