Bildung Wie die Wirklichkeit der Vision im Weg steht

Trier · Erstes Meilensteintreffen der Akteure zur Beschulung von ausländischen Jugendlichen: Erfolge und offene Probleme.

Da ist der junge Gambier, der nach mehrjähriger Flucht und Versklavung in Libyen vor anderthalb Jahren nach Trier kam und noch immer vom heimischen Geheimdienst ausspioniert wird; da ist die schulisch gute Syrerin, die aber nach der Zusammenführung mit Mutter und Schwester zusammenbricht, als sie erfährt, dass Vater und Bruder im Krieg getötet wurden; da ist der Afghane, der durch massive Disziplindefizite auffällt und sich wundert, dass niemand ihn schlägt; und da ist die junge Türkin, die sich erstmals in freier Entscheidung an einen Tisch setzen kann, ohne darüber nachzudenken, ob sie neben einem Mann sitzen darf.

An der Berufsbildenden Schule (BBS) Gestaltung und Technik (GuT) in Trier werden bei insgesamt 2500 Schülern 276 Flüchtlinge unterrichtet – und jeder von ihnen hat seine eigene Lebens- und Fluchtgeschichte im Gepäck. Manche haben noch nie eine Schule von innen gesehen, andere waren in ihrem Heimatland auf dem Gymnasium, wieder andere haben  psychische Probleme, dass an Schule gar nicht erst zu denken ist. „Wir müssen bei jedem Schüler die Lebensgeschichte berücksichtigen und Geduld haben“, sagt Silke Schares, Schulsozialarbeiterin an der BBS GuT. Denn das deutsche Schulsystem und die deutsche Bürokratie seien für viele Schüler nicht nur neu, sondern vollkommen anders als alles, was sie auf ihrem Weg durch Tod, Folter und Trauer nach Deutschland erlebt hätten.

Nach dreieinhalb Jahren der Beschulung von jugendlichen Flüchtlingen an der BBS haben das Lehrerteam um Direktor Michael Müller und Schares zum ersten Meilensteingespräch eingeladen, um die Akteure der Wirtschaftskammer, der Arbeitsagentur, des Jobcenters, der Jugendhilfeträger und anderer beteiligter Einrichtungen zusammenzubringen. Ziel ist es, die jungen Leute auf dem Weg durch die Schullaufbahn so weit wie möglich und am Ende in den Arbeitsmarkt zu bringen. „Die Berufsbildenden Schulen sind für viele Schüler die erste, aber auch letzte Schule. Wenn wir sie nicht auf die Gesellschaft und den Arbeitsmarkt vorbereiten, werden sie durchs System fallen“, ist Schulleiter Müller überzeugt.

Doch er gibt sich keinen Illusionen hin. Zu Beginn, als die ersten geflüchteten Jugendlichen im Herbst 2015 an die BBS kamen, „waren wir alle sehr beseelt von dem Gedanken zu helfen“. Doch das deutsche System lässt sich nicht über die Schicksale der jungen Leute stülpen. Neben fehlenden Sprachkenntnissen in Deutsch haben viele keine schulische Vorbildung. „Die Idee der einfachen Integration funktioniert nicht“, sagt Müller.

Heute, nach dreieinhalb Jahren Erfahrung und mit fast 300 Schülern zusätzlich, hat die BBS aus der Not eine Tugend gemacht und eine Art gesonderte Schulausbildung mit Berufsorientierung, einheitlichem Sprachabschluss und Berufspraktika geschaffen. Dazu wurden fünf Sprachlevel geschaffen, an der Methodik gefeilt und mit der Schulsozialarbeit eine zusätzliche Stelle geschaffen, die bei Schulproblemen, aber auch alltäglichen Dingen wie verlorenen Busfahrkarten oder gekündigten Mietverträgen hilft. „Insofern können wir von Erfolgen berichten“, freut sich Michael Müller.

Allerdings, so gesteht er, seien viele Probleme und Aufgaben nicht gelöst: „Auch wenn weniger Flüchtlinge nach Deutschland kommen, haben wir dennoch immer mehr Schüler mit Fluchthintergrund“, sagt der Schulleiter. Hinzu kämen massive Sprachprobleme, die sich auch nach zwei Jahren Berufsvorbereitungsjahr nicht beseitigen ließen.

Die Forderung von Schule und Schulsozialarbeit ist klar: Die Fortsetzung der Arbeit von Silke Schares, deren Vertrag am Jahresende auslaufen wird. „Hinzu kommt der Wunsch nach mehr Flexibilität im Berufseinstieg“, sagt Michael Müller. Auch wenn es vereinzelte „Leuchttürmchen“ gebe und junge Flüchtlinge ihre Gesellenprüfungen ablegten, so sei doch das Gros nicht in der Lage, die Berufsschule zu bestehen.

Ob eine Art „Not-Gesellenprüfung“ wie das ­„Not-Abitur“ nach dem Zweiten Weltkrieg oder mehr Flexibilität beim Nachholen von Prüfungen: Der Schulleiter kann sich vieles vorstellen. „Die BBS kann diese Klientel auffangen und ihr einen guten Start ermöglichen“, sagt Müller und fordert weitere, auch finanzielle, Unterstützung von Stadt, Land und Kammern ein, um weitere Meilensteine setzen zu können.

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