Gewerkschaften Lob für freiwillige Aufstockung des Kurzarbeitergeldes

Trier  · Die Corona-Krise hat die Wirtschaft in der Region fest im Griff. Während die Wirtschaftskammern alles tun, um die regionalen Betriebe zu unterstützen, sind die Gewerkschaften im Dauereinsatz, um ihren Mitgliedern beizustehen.

Wie ist die Lage in diesen Tagen? Der TV hat bei DGB-Regionsgeschäftsführer James Marsh, beim IG-Metall-Chef in der Region, Christian Schmitz, und bei Klaus Schu, Geschäftsführer Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) in der Region,  nachgefragt.

Mit der schnellen Reaktion der Bundesregierung sind die drei Gewerkschafter zufrieden, zumindest teilweise. James Marsh: „Die Bundesregierung hat in einer sehr raschen Zeit wichtige Hilfsprogramme auf den Weg gebracht, die dazu beitragen werden, dass der wirtschaftliche Einbruch möglichst begrenzt wird. Auch die Arbeitsagenturen haben schnell auf die Masse an Anträgen auf Kurzarbeitergeld reagiert. Nun gilt es abzuwarten, wie sich die Situation in den nächsten Wochen verändert.“ Etwas kritischer sehen das die beiden anderen. Christian Schmitz: „Unbürokratisch ja, aber mit vielen Fragen. Dazu ein Beispiel: der Umgang mit den Stundenkonten. In den Verlautbarungen des Arbeitsministeriums zum Kurzarbeitergeld steht explizit drin, dass auf eine Reduzierung der Stundenkonten verzichtet wird. Die Arbeitsagentur besteht aber häufig auf eine Reduzierung, auch wenn wir die Stundenkonten teilweise tariflich, teilweise betrieblich zur Beschäftigungssicherung eingerichtet haben. Außerdem wird es bis nach der Corona-Krise dauern, bis die Wertschöpfungsketten stabil sind und ob und wie wir dann aus der Rezession rauskommen. Das heißt, Stundenkonten werden für eine betriebliche Flexibilität auch benötigt, etwa  um den Kurzarbeitergeldbezug zu verkürzen.“ Und auch Klaus Schu merkt an: „Auszahlung und Beantragung sind in der Tat in lobenswerter Weise schnell und unbürokratisch erfolgt. Allerdings fehlt eine Verknüpfung an obligatorische Tarifvereinbarungen zwischen den Sozialpartnern.“

Kritisch sehen die Gewerkschaften die Höhe des Kurzarbeitergeldes. 60 Prozent des Nettolohns, das könne für den ein oder anderen Arbeitnehmer schnell in die finanzielle Krise führen. Die Arbeitgeber seien von den Sozialversicherungsbeiträgen des Kurzarbeitergeldes befreit, so Schmitz. „Spielraum genug, den Arbeitnehmern in der Zeit davon etwas abzugeben. Deswegen war einer unserer Punkte die Aufstockung des Kurzarbeitergeldes in unserer Tarifrunde. Aber es gibt viele Beschäftigte darüber hinaus, deswegen fordern wir ein Nachbessern der Politik.“

Im Bereich der NGG sieht Klaus Schu große Probleme: „Gerade in den von der NGG betreuten Branchen der Gastronomie oder des Lebensmittelhandwerkes, wo die Löhne sowieso zu niedrig sind, bedeuten 60 Prozent von 1200 Euro netto bei einer Vollzeitkraft schnell existenzbedrohende Bedingungen. Der Weg in die Armut ist somit noch kürzer, der Weg zum Jobcenter unumgänglich. Deswegen hat die NGG auch mit einem Tarifvertrag für die Systemgastronomie (McDonalds, Burger King & Co.) eine Aufstockung des KuG auf 90 Prozent erreicht – das hilft den Beschäftigten dort ungemein. Leider verweigern sich der Dehoga Rheinland-Pfalz (Gaststättenverband) sowie die Bäcker-, Konditor- und Fleischerinnungen bisher ihrer sozialen Verantwortung für die Beschäftigten.“

Für James Marsh ist auch das ein Knackpunkt: „Es ist aus unserer Sicht ungerecht, dass bei der Neuregelung des Kurzarbeitergeldes die Arbeitgeber von der Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge befreit werden, andererseits den Beschäftigten die existenzsichernde Anhebung des Kurzarbeitergeldes verweigert wird. Die Menschen sind weiterhin durch finanzielle Verpflichtungen, wie Mietzahlungen, Kreditraten und weitere Fixkosten, voll belastet.

Wie sieht die Lage in der Elektro- und Metallbranche konkret aus?

Die meisten Unternehmen planten jetzt bis zum Ende der Osterferien oder bis Ende April, erklärt IG-Metall-Chef Schmitz. „Wenn die Einschränkungen sinnvoll und nötig bleiben, und noch wochenlang darüber hinaus andauern, wird es für viele Betriebe dünn. Dann muss die Politik nachsteuern. Ein Beispiel außerhalb der Industrie ist die Kofinanzierung öffentlicher Investitionen für Kommunen.“ Bei den kleinen Handwerksbetrieben sei die Frage, inwieweit echte Zuschüsse statt Kredite nicht die bessere Lösung sind, auch um spätere Folgen (Kreditvergaberichtlinien, Insolvenzen) zu minimieren.

Wie sieht die Lage im Bereich der NGG-Betriebe aus?

Klaus Schu: „ Am stärksten leidet die Gastronomie, ganz klar. Bis auf Lieferdienste oder Abholung von Essen ist der Bereich fast auf Null herunter gefahren. Das gefährdet sowohl die Existenz der Betriebe, als auch die der Beschäftigten. Hier sehen wir dringenden Nachholbedarf bei der Politik.“ Auch der Café-Betrieb von Bäckereien und Konditoreien sei quasi eingestellt. Andererseits steige der Absatz in den Verkaufsläden oder Filialen in den Supermärkten, da dort eine hohe Betriebsamkeit herrscht. In der Nahrungsmittelindustrie in der Region Trier leide „nur“ die Genussmittelsparte. Also Wein, Sekt und Fassbier litten unter Absatzrückgängen. Ansonsten liefe die Arbeit in der Ernährungsindustrie in der Region auf Hochtouren. Milch, Mineralwasser, Tiefkühlpizza, Brot, Bier – die Beschäftigten in den jeweiligen Betrieben werden oft vergessen in der Berichterstattung, sie leisten unter den schwierigen Umständen enorme Anstrengungen, damit unsere Regale in den Geschäften voll bleiben.

  Christian Schmitz, Erster IG-Metall-Bevollmächtigter.

Christian Schmitz, Erster IG-Metall-Bevollmächtigter.

Foto: TV/Heribert Waschbüsch
 Klaus Schu, NGG-Geschäftsführer in der Region.

Klaus Schu, NGG-Geschäftsführer in der Region.

Foto: Friedemann Vetter

Vor diesem Hintergrund hofft James Marsh auf Nachbesserungen: „Die Gewerkschaften fordern in dieser Krisensituation soziale Verantwortung ein. Viele Branchen und Unternehmen zeigen diese Verantwortung, indem sie Tarifverträge zur Aufstockung bei Kurzarbeit abgeschlossen haben. Doch nicht alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind durch diese Tarifverträge geschützt. Der Gesetzgeber muss die Arbeitgeber in die Pflicht nehmen, dass auch den Beschäftigten in Branchen und Unternehmen ohne tarifvertragliche Regelungen eine Sicherung von mindestens 80 Prozent ihres Nettogehaltes möglich ist.“ DGB-Chef Marsh hofft auch, dass mit der jetzigen Situation ein Umdenken in der Gesellschaft und der Politik einsetzt: „Die Corona-Krise zeigt, dass ohne Pflegekräfte, Lieferanten und Kassiererinnen nichts geht. Endlich werden sie wertgeschätzt. Doch diese Wertschätzung, die diese Beschäftigten heute erleben, darf nicht mit warmen Worten enden. Die Arbeit, die diese Menschen leisten, hat einen Wert, der sich in ordentlicher Bezahlung niederschlagen muss. Im Interesse dieser Beschäftigten brauchen wir allgemeinverbindliche Tarifverträge für alle systemrelevanten Branchen.“

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