Aus unserem Archiv Jahr 2020: Wie entwickelt sich die Trierer City in der Corona-Krise?

Trier · Ein nachdenklicher Streifzug durch die Fußgängerzone oder: Warum dieser Text nicht „Die Zerstörung der Innenstadt“ heißt.

Ein individueller Tupfer wie ihn Innenstädte brauchen: Der Weinstand auf dem Trierer Hauptmarkt ist ein beliebter Treffpunkt. Die Menschen hängen normalerweise wie die Trauben um ihn herum - leider ist er derzeit wegen der Corona-Pandemie geschlossen.

Ein individueller Tupfer wie ihn Innenstädte brauchen: Der Weinstand auf dem Trierer Hauptmarkt ist ein beliebter Treffpunkt. Die Menschen hängen normalerweise wie die Trauben um ihn herum - leider ist er derzeit wegen der Corona-Pandemie geschlossen.

Foto: Hans-Peter Linz Trierischer Volksfreund/Hans-Peter Linz

Bewundert und beneidet von Freunden, Bekannten und der Familie, lebe ich seit vielen Jahren mitten in Trier. Sie mögen die kurzen Wege, schätzen die herrlichen Bauten, machen bei ihren Besuchen schon mal einen Abstecher zur Karl-Marx-Statue, weil so viel darüber geschrieben worden ist, und lieben es vor allem, hier zu shoppen. „Trier ist eine so schöne Stadt. Schöner als Saarbrücken.“ „Das ist meine Einkaufsstadt.“ Wie oft habe ich solche Sätze schon gehört? Und wie oft haben sie mich auch ein wenig stolz gemacht? Natürlich völlig zu Unrecht, denn ich habe nichts zur Attraktivität der Trierer Innenstadt beigetragen. Das waren die Römer und alle anderen unbekannten und bekannten Bauherren. Aber halt, so kann ich es auch nicht ganz stehenlassen: Ich leiste meinen Beitrag, um das geschätzte, vielfältige Angebot zu erhalten. Ich ließ und lasse  mein Geld regelmäßig in der Gastronomie, kaufe nichts, aber auch gar nichts online und am liebsten in Inhaber-geführten Geschäften – wenn auch nicht konsequent.

Seit Jahren klage ich ein wenig, weil viele Mode-Marken in der Stadt nicht vertreten sind, für die mir in Zeitschriften die Nase langgemacht wird. Vielleicht ist Trier dafür zu klein. Dafür finde ich, dass es zu viele sich sehr ähnelnde Kleidung oft von den gleichen Marken in gleich mehreren Geschäften gibt. Ich habe mir schon sehr viele Gedanken darüber gemacht, wie das langfristig für alle gutgehen kann. Für jemanden, der nie online einkauft, keine leichte Sache, weil es die Wahlmöglichkeiten einschränkt und sich schließlich auch auf mein Konsumverhalten ausgewirkt hat. Ich kaufe weniger und drücke den Schnitt von 60 Oberteilen, die der Deutsche laut einer Greenpeace-Studie in einem Jahr kauft – das nicht ganz unbewusst. Auch H&M-Werbung ist für alle nicht-online-einkaufenden Trierer ein Hohn. Das sei Jammern auf sehr hohem Niveau, sagt mir wegen meiner Wehklage in Sachen Markenvielfalt schon vor Jahren leicht pikiert der Manager einer Trierer Geschäftsanlage.

Es ist Zeit, hinzuschauen: In diesem Text geht es allerdings nicht um das vielleicht abgehobene Gejammere einer bekennenden Innenstadtbewohnerin, sondern es geht mir um Trier, mein Trier. Wäre ich der YouTuber Rezo, hätte ich vermutlich mein Anliegen „Die Zerstörung der Trierer Innenstadt“ genannt. Rezo hat dieses martialische Substantiv für seine vielleicht deshalb viel beachteten Beiträge gewählt. Dabei geht es ihm nicht ums Kaputtmachen. Nein, er möchte eben nicht, dass alles den Bach runtergeht. Für „Die Zerstörung der CDU“, seinen „Video-Anpfiff“ für diese und andere Parteien, ist er für den Grimme Online Award 2020 nominiert worden. Das alles hat viele Diskussionen ausgelöst: Ältliche Volkspartei, scheinbar unfähig zur Erneuerung, bekommt von jungem YouTuber mit blauen Haaren einen Einlauf, und der wird dann auch noch für einen renommierten Preis nominiert. Sie fragen sich sicher, was das mit der Trierer Innenstadt zu tun hat? Sehr viel. Der YouTuber Rezo steht für die Internet-Generation und setzt sich in seinen Videos mit der „alten“ Welt auseinander. Er fordert seine Zuhörer dazu auf, sich damit auseinanderzusetzen, das Gute daran zu erkennen und das Kritikwürdige zu hinterfragen – so interpretiere ich seine „Zerstörungs“-Videos. Ich gehöre nicht zu Rezos Generation, aber, ich meine auch, es ist Zeit, genau hinzusehen und Verantwortung zu übernehmen. In sehr vielen Bereichen scheint es gerade darum zu gehen, wie wir die Weichen für die Zukunft stellen – die Corona-Pandemie wirkt dabei wie ein Beschleuniger.

Bis jetzt schienen mir alle beschriebenen Effekte durch den Online-Handel und die globalisierten Fast-Fashion-Märkte, alle Zahlen und Studien weit weg und ­abstrakt. Das hat sich geändert. Die Zeichen stehen auf Veränderung. Ich möchte aber nicht irgendwann zum Online-Shoppen auf großen Plattformen mit Paketlieferungen gezwungen werden, möchte (fast) alles lokal kaufen können. Ich möchte weiterhin die kurzen Wege gehen können, um die ich so oft beneidet werde.

Bedauern, wenn es zu spät ist: Wer in einer Stadt lebt, kauft anders ein als ein Besucher, es ist Alltag, aber auch Genuss. Einen schmerzlichen Einschnitt spürte ich, als im Winter nach Jahrzehnten die Lebensmittel­abteilung im Karstadt verschwand und mit ihr eine Käse- und eine Fleischtheke, einige Feinkostprodukte und ein gutes Weinsortiment. Offenbar war ich damit nicht alleine. Auch andere Kunden beklagten das Aus, wie mir eine Mitarbeiterin kurz vor der Schließung erzählte. Warum sie dann nicht beizeiten gekommen seien und eingekauft haben? Jetzt sei es zu spät, habe sie denen geantwortet. Habe ich da einen auch an mich gerichteten Vorwurf herausgehört? Zuerst dem sich lange abzeichnenden Siechtum tatenlos zusehen und hinterher bedauern. Das ist nicht nur Trierern eigen. Das kennen alle Ladenbesitzer, als bekannt wurde, dass sie schließen werden.

Frischen Käse gibt es in der Fußgängerzone jetzt nur noch im Biogate und im Unverpacktladen. Oder habe ich etwas übersehen? Ich wäre für einen Hinweis dankbar. Schlemmermeyer ist auch sang- und klanglos verschwunden. Der Wochenmarkt auf dem Viehmarkt, dienstags und freitags, bietet regionale Produkte, Fleisch, Brot, Obst, Gemüse, Käse und auch frische Vorspeisen und Oliven. Es macht Spaß, dort einzukaufen. Ich habe den Eindruck, dass viele Menschen Stammkunden sind und habe mir vorgenommen, häufiger hinzugehen. Fleisch und Wurst bekomme ich ebenfalls in den wenigen Metzgereien in der Fußgängerzone oder im Bioladen. Ich unterstütze die kleinen Anbieter bewusst, aber brauche für alles mehr Zeit und bin wieder nicht konsequent. Meine Kollegen finden in den großen Supermärkten in den Stadtteilen alles auf einen Griff, auch alles Frische, was sie für die Woche brauchen.

Ich gehe gerne in die Filiale einer Supermarktkette in der Simeonstraße. Dort herrscht immer großer Andrang. Es gibt ein gutes Sortiment, viele Bioprodukte, ein wenig Regionales. Aber Veganes, Wurst, Fleisch oder Käse sind in viel, sehr viel Plastik eingeschweißt – während (Bio-)Gemüse und (Bio-)Obst oft schon ohne auskommt. Es ist ein Stadtmarkt-Konzept mit vielen To-go-Angeboten , ausgerichtet auf Laufkundschaft. Entdecke ich in meinem Fußgängerzonen-Umfeld gerade zwei Trends? Einerseits die Versorgung durch große Lebensmittelketten, Discounter und einer wachsenden Palette von haltbaren Biolebensmitteln in den Drogeriemärkten. Und andererseits einen vielleicht sogar mangels Alternativen erzwungenen Trend hin zum bewussten, nachhaltigen Konsum frischer, teils regionaler Angebote? Sind es die sogenannten LOHAS, die ihm folgen? Die Abkürzung steht für Lifestyle of Health and Sustainability und wurde vor einigen Jahren häufig für diejenigen benutzt, die einen guten, nachhaltigen Konsum pflegen möchten.

Eins von dreien schließt: Die Lebensmittelabteilung im Karstadt war nur der Anfang. Jetzt steht fest, dass das gesamte Haus dichtgemacht wird. Die bundesweite Umstrukturierung des Konzerns trifft eine von insgesamt drei Galeria-Karstadt-Kaufhof-Filialen in der Fußgängerzone. „Meine Töchter wollten da letztens nicht rein“, sagt mir eine Kollegin. Die Teenager haben ihre Strümpfe lieber bei einer jungen Marke mit eigenem Laden gekauft. Haben diese Warenhäuser bei den Digital Natives ein Problem wie vielleicht unsere Volksparteien? Wir Älteren kennen ein Leben ohne sie nicht und sind es wahrscheinlich, die ihnen die Stange halten. Wir kennen sie aus erfolgreichen Tagen, als Mister Minit dem Schuhmacher um die Ecke das Leben schwer gemacht hat und ihre Sortimente vermutlich am Niedergang so manchen Fachgeschäfts beteiligt waren. Fressen und gefressen werden. Damals war die Welt noch analog und an Konzepten, die nicht mehr in die Zeit passen, sollte man nicht festhalten.

Das wäre zu einfach. Es geht nicht nur um Arbeitsplätze und um das Grauen, den der Gedanke an eine leerstehende Immobilie dieser Größe in der Toplage Simeonstraße auslöst. Das Wanken dieser einst so unverwüstlichen Leuchttürme deutscher Einkaufsmeilen steht für einen Strukturwandel – auch wenn es so aussieht, als sei Trier mit einem blauen Auge davongekommen. Wie wird sich der Konzern jetzt fit machen? Wenn ich eine Thermoskanne oder ein Messer brauche, habe ich bis jetzt auch in der Haushaltswarenabteilungen von Galeria Karstadt Kaufhof vorbeigeschaut, weil es dort eine Auswahl verschiedener Hersteller gibt. Wo gibt es noch eine so große Auswahl an Strümpfen und Strumpfhosen unterschiedlicher traditioneller Strumpffabrikanten in der Stadt? Was würde werden, wenn das Warenhauskonzept durch ein „cooleres“ ersetzt würde? Würden sich die Angebotslücken einfach wieder füllen oder bleibt dann weg, was weg ist?

Bedrohte Arten: Was ist mit etwas so Banalem wie Kurzwaren? Als kürzlich ein Loch in meiner Strickjacke klaffte, fand ich farblich passendes Garn bei Kaufhof. Darauf pappte ein Klebepreisschild. Die Nachfrage danach scheint nicht überwältigend zu sein. Umso dankbarer war ich, dass die leidende Kette hier standhaft „altbacken“ geblieben ist. Was wird, wenn Galeria Karstadt Kaufhof sich in Sachen Kurzwaren modernisiert? Wie funktioniert der Onlinekauf eines farblich möglichst passenden Wollgarns? Ich drehe eine Runde.
Die jungen Leute reparieren ja nichts mehr, höre ich dabei nicht nur im Gespräch mit der Inhaberin eines Lädchens mit Kurzwaren in der Innenstadt. Viele Menschen könnten nicht mal mehr Knöpfe annähen, gingen dazu in Änderungsschneidereien, sagt sie. Fast-Fashion-Ware wird vermutlich nicht repariert, was unsere Müllberge und unseren CO2-Ausstoß wachsen lässt. Das endgültige Aussterben der Trierer Handarbeitsläden scheint jedoch gestoppt zu sein, suggerierte mir die nette Dame zwischen Wolle und Stoffen.
Denn gleichzeitig gibt es offenbar ein Revival des Handarbeitens. Viele ihrer Kundinnen kommen ganz bewusst zu ihr, um sie zu unterstützen und sollte etwas online bestellt werden müssen, es lieber bei ihr tun. Ich bin guter Dinge. Das Handeln Einzelner kann offenbar doch etwas bewirken.

Mehr Mut, bitte! Wie werden sich verändertes Konsumverhalten, der Generationenwechsel und vor allem der Online-Handel langfristig auf die Vielfalt in der Stadt auswirken? Das bereitet den Trierer Einzelhändlern, Politikern und der Industrie- und Handelskammer schon lange Kopfzerbrechen. Dabei geht es nicht nur um die Attraktivität Triers für Besucher, die Gastronomie wächst zum Beispiel, sondern auch für seine Bewohner. Viele kleinere Städte haben einen schmerzlichen Veränderungsprozess hinter sich und kämpfen mit Leerstand. Ich war mir sicher, einer Stadt in der Größe Triers würde das nicht widerfahren können. Aber wird das immer so sein? Was wird alleine aus den vielen Modeherstellern, die hier vertreten sind? Denn das immer mehr an immer gleicher Mode scheint, beschleunigt durch den Lockdown, doch nicht für alle gut auszugehen.

Es bereite ihr kein Kopfzerbrechen, wenn eines der großen Kaufhäuser in Triers Topmeile wegfällt, sagt mir die Inhaberin einer Boutique in der Fußgängerzone. Für ihr eigenes Geschäft fürchte sie dadurch keine Nachteile, auch wenn leerstehende Immobilien in der Innenstadt natürlich schlecht für alle Einzelhändler seien. Sie sorgt sich dagegen um die Mischung des Angebots. Es fehle Originalität, es fehlten coole Lokale mit coolen Sounds und beschreibt, was ein sinnliches Einkaufs- und Genusserlebnis für sie ausmacht. Sie setzt auf ein individuelles Modesortiment und sagt, dass sie ohne die Luxemburger Kundinnen einpacken könnte. „Du musst im Gespräch bleiben, sonst bist du tot. Diesen Mut haben viele nicht.“

Globus ist ein Magnet: Am 30. Juni wird der Trierer Stadtrat über die Ansiedlung eines Globus-Marktes in Trier-Zewen abstimmen. Wenn es ein Ja dazu gibt, wird er frühestens im Herbst 2023 fertig sein. Das Projekt wird sehr emotional diskutiert. Meine Kollegen berichten ausführlich darüber und haben die vielen Argumente dargestellt. Ich kenne Menschen, die seit Jahren jede Woche sehr viele Kilometer auf sich nehmen und halbe Tage in einem Globus verbringen. Es geht ihnen nicht um Preise. Sie lieben es, alles auf einmal zu bekommen und essen dort auch noch zu Mittag.

Was werde ich in drei Jahren tun? Steige ich dann, wenn ich eine Thermoskanne oder ein Messer, ein paar Zutaten für ein ausgefallenes Essen, eine gute Auswahl an  internationalen Weinen brauche, in mein Auto und fahre die etwa acht  Kilometer von der Innenstadt aus dorthin? Bringe ich dann frischen Käse, Fleisch, Brot und alles mit, was ich brauche, weil es praktisch ist? Pfeife ich dann auf die kurzen Wege und verzichte darauf, kleine Anbieter zu unterstützen? Vermutlich jain, weil das Angebot super ist, werde ich es annehmen und parallel in der Stadt einkaufen. Werde ich dann, wenn ich vor Feiertagen auf dem Weg zum Globus im Stau stehe und fluche, die Schuld auch bei mir suchen, wenn Trier im Sommer immer stärker unter Hitze ächzt? Vermutlich nicht, dazu hätte ich jetzt ja schon allen Grund.

Zu viele Fragen, keine Antworten. Ich fürchte, ich werde mein Konsumverhalten ständig hinterfragen müssen. Der oder die Einzelne kann die Welt und Trier nicht retten, aber ich kann für mich Verantwortung übernehmen – wenn auch weiterhin nicht immer konsequent. Das leiste ich mir. Alles andere wäre verrückt.

Lieber Globus,

ich habe gehört, dass du ein Abweichen von deinen Erfolgs-Konzepten prüfen wirst – wie wäre es mit einem veränderten, mit den Stadtplanern und dem Einzelhandel auf Trier abgestimmten sinnlichen Innenstadtkonzept in einer leerstehenden Immobilie, in der du dann die Erdbeeren vom Bauer Greif anbietest?
Du bist experimentierfreudig, potent und innovativ, weißt, was Kunden wünschen, dir liegt etwas an einem zukunftsweisenden Verkehrskonzept und an einem frischen Marketing, das dir alleine diese auf Trier zugeschnittene Flexibilität bundesweit bringen würde.
Der Bürgerentscheid für eine Tankstelle mit dem poetischen Namen Blaue Lagune und eigentlich für den Erhalt eines „Spätis“ hat gezeigt – da geht noch was. In diesem Fall zwar in die falsche Richtung, ins Gestern. Aber die älteste Stadt Deutschlands hat gute Gründe, sich für die Zukunft ins Zeug zu legen. Gib‘ Einzigartigkeit eine Chance!

Mit herzlichen Grüßen

Ganz subjektiv aufgeschrieben von Volksfreund-Redakteurin Birgit Markwitan

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