Wirtschaft „Irgendwann hat man keine Lust mehr“

Trier · Ein kleiner Verstoß kann Online-Händler an den Rand einer Existenzkrise bringen. Jetzt könnte es auch einen Abmahnverein treffen.

 Ein Ausschnitt aus der Internetseite eines Online-Shops auf einem Bildschirm. Schon kleine Verstöße können Online-Händler an den Rand einer Existenzkrise bringen.

Ein Ausschnitt aus der Internetseite eines Online-Shops auf einem Bildschirm. Schon kleine Verstöße können Online-Händler an den Rand einer Existenzkrise bringen.

Foto: picture alliance / Arno Burgi/dp/Arno Burgi

Anne Hecker zuckt mit den Schultern. „Ich weiß nicht, ob ich mit meinem Shop noch einmal online gehen soll“, sagt die junge Frau aus einem Dorf in der Eifel und fügt hinzu: „Ich habe einfach Angst, dass ich noch einmal eine Abmahnung bekomme.“ Dann würde es für Anne Hecker teuer. Sogar sehr teuer.

Die hauptberuflich als Krankenschwester arbeitende Frau hat einen kleinen Fehler gemacht. Anne Hecker näht nebenbei Kinderkleider, die sie übers Internet vertreibt. Die Sache bringt ihr nicht viel ein. Unterm Strich blieb der Eifelerin nach eigenen Angaben zuletzt ein Gewinn von um die 200 Euro im Jahr.

Wäre Anne Hecker der Aufforderung nachgekommen, die sie vor einigen Wochen per Brief bekam, wäre der diesjährige Gewinn schon aufgezehrt gewesen, kaum dass das Jahr begonnen hat.  Weil sie diverse Wettbewerbsverstöße im Internet begangen habe, sollte Hecker eine Unterlassungserklärung abgeben und eine Abmahngebühr in Höhe von 232,05 Euro zahlen. „Ich dachte zuerst, das ist ein Fake-Brief“, erinnert sich die junge Frau, die ihre selbst genähten Kindersachen seit fünf Jahren über die Internetplattform Dawanda vertreibt.

Als sie mit dem Online-Verkauf begann, hat Anne Hecker das gemacht, was wahrscheinlich ein Großteil ihrer Selfmade-Kolleginnen ähnlich gemacht haben dürfte – die allgemeinen Geschäftsbedingungen und Widerrufsbelehrungen aus den Internetauftritten anderer kopiert. „Ich kenne mich in dem Bereich ja überhaupt nicht aus“, sagt die Eifelerin.

Inzwischen ist Anne Hecker auf dem Gebiet schlauer. Nachdem ihr die siebenseitige Abmahnung samt Zahlungsaufforderung eines Online-Interessenverbands auf den Tisch geflattert ist, hat sie sich bei der Trierer Industrie- und Handelskammer (IHK) über die Hintergründe informiert.

Das Ergebnis – auf einen einfachen Nenner gebracht: Der Verband, der nach eigenen Angaben mehrere Hundert Internethändler vertritt, hat recht. Anne Hecker hatte bei ihrem Internetauftritt tatsächlich mehrere kleine Fehler gemacht, die nach Einschätzung von IHK-Expertin Jennifer Schoepf allerdings „wettbewerbsrechtlich kaum relevant“ sind.

Laut Carsten Föhlisch vom Gütesiegel-Anbieter Trusted Shops eine gängige Praxis. „Es werden bewusst einfachste Fehler abgemahnt, die für den Wettbewerb nicht relevant sind, aber im Tagesgeschäft immer wieder passieren können“, sagt der Leiter der Rechtsabteilung. Es gehe ganz klar darum, mit Vertragsstrafen bei künftigen Verstößen Geld zu verdienen.

Nach einer aktuellen Studie der Gütesiegel-Firma werden pro Abmahnung durchschnittlich 1300 Euro fällig; häufig lägen die geforderten Kosten aber bei mehreren Tausend Euro. Das liegt laut Trusted Shops daran, dass etliche Online-Händler mehrfach betroffen waren und zusätzlich Vertragsstrafen zahlen mussten. Jeder zweite für die Studie Befragte stufte die aktuelle Abmahnpraxis als akut existenzgefährdend ein.

„Irgendwann hat man keine Lust mehr“, sagt auch die Eifelerin Anne Hecker, die ihren Online-Shop inzwischen vom Netz genommen hat. Ob sie ihn je wieder öffnet, ist unklar. „Ich habe einfach Angst, noch einmal einen Fehler zu machen, und dann wird’s richtig teuer“, sagt Hecker.

Derweil droht Online-Händlern bereits neues Ungemach. Ende Mai tritt die neue EU-Datenschutzverordnung in Kraft. Dann muss auf der Internetseite die Rechtsgrundlage für die Verwendung oder Speicherung personenbezogener Daten angegeben werden. „Das könnte ein gefundenes Fressen für Abmahnvereine sein, da sich solche Verstöße leicht finden lassen“, glaubt IHK-Expertin Jennifer Schoepf.

Doch auch ein Abmahnverein hat derzeit Probleme mit der Justiz – und das ausgerechnet in Trier. Wegen einer möglichen falschen eidesstattlichen Versicherung ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen eine Mitarbeiterin des Vereins. Wohnung und Firmenräume seien durchsucht worden, sagte der Leitende Trierer Oberstaatsanwalt Peter Fritzen auf Anfrage unserer Zeitung.

In dem Ermittlungsverfahren geht es letztlich um die Frage, ob die von dem Abmahnverein vorgelegte Mitgliederliste auch wirklich korrekt ist.  Kritiker halten es für ausgemacht, dass gerade in diesem Punkt häufig getrickst wird.

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