Kriminalität 23-Jähriger steht wegen Hammerattacke in Neuerburg vor Gericht

Neuerburg · Ein 23-Jähriger hat eine Frau mit einem Hammer fast totgeschlagen. Weil er während der Tat unter Drogen stand, gilt er als nicht schuldfähig. Und wird daher nur angeklagt, weil er sich in einen gefährlichen Rausch versetzt hat. Eine Geschichte zwischen Wahn und Wirklichkeit.

23-Jähriger steht wegen Hammerattacke in Neuerburg vor Gericht
Foto: picture alliance / David-Wolfgan/David-Wolfgang Ebener

„Ich muss raus aus dem Gefängnis, dachte ich. Und der Hammer war das Werkzeug, das ich brauchte. Damit musste ich alles zertrümmern. Ich erinnere mich, wie ich auf die Frau eingeschlagen habe. Ich dachte: Wenn ich sie zerstöre, kann ich mich befreien.“

Am Morgen nach der Tat wacht der 23-Jährige in der Psychiatrie auf. Arme und Beine sind am Bett festgeschnallt. Warum dies nötig war, weiß er nicht mehr. Die Erinnerung an jenen Abend im September 2018, als er im Drogenrausch fast eine Frau mit einem Hammer totgeschlagen hat, kommen „bröckchenweise“, wie der ehemalige Schüler des Neuerburger Eifel-Gymnasiums es vor dem Landgericht Trier ausdrückt.

Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, sich bewusst berauscht zu haben und unter diesem Einfluss in Raserei verfallen zu sein. Die Drogen, LSD und Marihuana, soll er selbst beschafft und mit Freunden geteilt haben. Zunächst hieß es, der junge Mann müsse sich wegen versuchtem Totschlag verantworten. Doch ein Gutachter hat laut Staatsanwalt Benjamin Gehlen festgestellt, dass der 23-Jährige zur Tatzeit nicht Herr seiner Sinne war. Eine Drogenpsychose, so die Diagnose, habe ihn zu den Taten getrieben. All das gibt der Gymnasiast auf der Anklagebank zu.

Wir haben uns alle vier eine halbe LSD-Pappe auf die Zunge gelegt. Später haben wir auf dem Schulhof rumgealbert, bis es draußen zu kalt wurde. Drinnen haben die anderen Musik aufgedreht, Techno, der mir auf den Kopf geschlagen hat. Danach wird es schwammig.“

Der Angeklagte: Der Beschuldigte ist klein, hat kurze Haare und trägt Brille. Er spricht mit ruhiger Stimme. Es fällt schwer, sich ihn am Tat­abend vorzustellen. Wie er seine Freunde mit einem Messer bedrohte und einen später mit einem Schlosserhammer schlug. Wie er die Einrichtung in seiner Wohnung im Eifel-Kolleg zertrümmerte. Und schließlich nackt auf die Straße lief und eine Unbekannte in ihrem Auto angriff (der TV berichtete).

Wie konnte dieser junge Mann, der bis zum 22. Lebensjahr nie Drogen angefasst hat, so aus der Bahn geraten? In seiner Aussage gibt er Einblicke:

Als Jugendlicher ist er unauffällig, trinkt und raucht nicht. Nach der Realschule in Trier absolviert er eine Ausbildung bei der Deutschen Bahn, arbeitet anschließend im Schichtdienst. Weil die Stelle ihm nicht mehr gefällt, kündigt er.

Er hat große Pläne, will das Abi­tur in Neuerburg nachholen, danach Biologie studieren. Und zunächst sieht alles danach aus, dass sich dieser Traum erfüllt.

Seine frühere Klassenlehrerin sagt im Zeugenstand, der 23-Jährige sei  „ambitioniert“ gewesen, aber „nie aggressiv“: „Über manche Schüler stolpert man täglich, über ihn nicht.“ Als sie am Samstag danach von der Tat hörte, sei sie daher „aus allen Wolken gefallen“: „Das klingt, als ob er eine andere Person gewesen wäre.“ Von seinem Drogenkonsum will sie nichts mitbekommen haben.

Dabei habe der Beschuldigte bereits Monate vor der Tat täglich Marihuana geraucht, wie er sagt. Eine andere Person ist er also schon vor dem Tatabend geworden. Auf Partys mit den neuen Freunden vom Eifel-Gymnasium schmeißt er Pillen ein. Zu den Eltern nach Trier fährt er seltener, aus Sorge, sie könnten die Veränderung ihres Sohnes bemerken. Und bald reichen ihm Amphetamine, Ecstasy und Cannabis nicht mehr. Online sucht er nach Substanzen, die – so glaubt er damals – sein „Bewusstsein erweitern“ würden: „So hab ich mir das schöngeredet.“ Er probiert vieles aus: Pilze, Kokain und schließlich LSD. Die ersten drei Male ist er zufrieden mit dem Rausch. Beim vierten Mal gerät der Trip außer Kontrolle. Auch sein Körper wehrt sich an diesem Tag gegen die Drogen. Der 23-Jährige muss sich übergeben. Er soll das Erbrochene abwaschen, sagen die Freunde. Doch er will nicht unter die Dusche. Schließlich zwingen sie ihn. Und während die Brause läuft, hört er sie lachen. Sie lassen die Rolläden elektronisch auf und ab surren. Das finden sie lustig. Doch er glaubt, sie lachen über ihn.

„Dann haben mich plötzlich Stimmen im Kopf angebrüllt. Ich dachte, dass alles um mich herum nur existiert, um mich fertigzumachen. Dann hatte ich das Messer in der Hand und habe auf eine Tür eingehackt. Es hat sich angefühlt, als würde ich nur zusehen.“

Die Geschädigte: Noch immer fällt es dem Angeklagten schwer, sich an alle Einzelheiten zu erinnern. Die Nebenklägerin hat ein anderes Problem: Sie kann nicht vergessen. Noch immer hat die 50-Jährige mit den Folgen des Abends zu kämpfen, den sie vor Gericht beschreibt:

Sie kommt gegen 18 Uhr von der Arbeit. Als sie vor ihrem Zuhause einparkt, sieht sie den nackten Mann im Rückspiegel. Aus „Fluchtinstinkt“ versucht sie wegzufahren, würgt aber den Motor ab. Dann hört sie einen Knall. Mit einem Hammer schlägt der Fremde auf das Dach ihres Wagens. Als Nächstes ist die Scheibe dran. Sie bricht. Durch die Seitentür prügelt er auf sie ein. Sie reißt die Arme hoch, schreit: „Ich habe dir doch gar nichts getan.“ Er sagt, sie sei eine Schlampe und solle ihr Maul halten. Dann brüllt er immer wieder: „Ich bring dich um!“ Er greift durch das offene Fenster und macht die Tür auf, beugt sich über sie und hämmert weiter auf sie ein: „Es hat sich angefühlt wie tausend Schläge.“ Sie verliert das Bewusstsein, wird wach, verliert wieder das Bewusstsein. Dann kommt ihr Ehemann zusammen mit einem Nachbarn herbeigeeilt. Die beiden zerren den Tobsüchtigen von ihr weg. Die Polizei wird später Schlagstöcke und Tränengas einsetzen, um ihn auf den Boden zu bekommen. Ein Beamter, der dabei war, sagt: „Er hat keinen Schmerz verspürt, war überhaupt nicht ansprechbar.“ Die 50-Jährige kriecht auf allen Vieren ins Haus.

Die Wunden des Angriffs seien inzwischen verheilt, sagt die Geschädigte. Doch Narben sind geblieben, an der Augenbraue und am Knie, vor allem aber auf der Seele. Nach wie vor leide sie unter Panikattacken, nachts finde sie ohne Schlafmittel keine Ruhe. Alleine Auto fahren könne sie nicht, auch das Haus ohne ihren Mann zu verlassen, falle schwer. Sie würde gerne umziehen, einfach weg, das alles hinter sich lassen – doch sie findet nicht die Kraft, nach einer Wohnung zu suchen.  „Er hat unser Leben zerstört“, fasst sie zusammen.

Der Prozess wird am vierten April um 9 Uhr fortgesetzt. Unter anderem sagt dann der Ehemann der Geschädigten aus.

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