Serie Singen Sänger – ein trügerischer Traumjob?

Trier/Passau · Die Bühne ist ein Ort der Sehnsucht. Doch für junge Sänger wird es immer schwieriger, ein Engagement zu ergattern – sei es im Opernbetrieb oder auf dem Konzertpodium. Worin liegt der Schlüssel zum Erfolg?

 Weltweit erfolgreich: Sopranistin Anna Netrebko beim Wiener Opernball.

Weltweit erfolgreich: Sopranistin Anna Netrebko beim Wiener Opernball.

Foto: picture alliance/dpa/Hans Punz

Das hohe C gelingt mühelos, Koloraturen sind ein Klacks und der Atem scheint so lang und tief wie die Po-Ebene Italiens: Doch eine schöne Stimme allein ist zu wenig, um als Künstler erfolgreich zu sein. Zu viele Sänger mit gut ausgebildeten Stimmen drängen auf den Markt und alle träumen von einer großen Karriere. Nur die wenigsten schaffen es.

Gerade einmal fünf bis maximal zehn Prozent der Musikhochschul-Absolventen in Deutschland erhalten ein festes Engagement, hat die Bertelsmann Stiftung in einer Studie zur Ausbildungs- und Beschäftigungssituation junger Sängerinnen und Sänger herausgefunden, so der Deutschlandfunk Kultur. Erschreckende Zahlen für alle, die mit dem Gedanken spielen, ein Gesangsstudium aufzunehmen. Oder etwa doch nicht?

Tobias Scharfenberger, Intendant des Mosel Musikfestivals und selbst Sänger, kennt die Situation auf dem Markt sehr gut. Seine Worte klingen nicht gerade beruhigend: „Die Auswahl ist gewaltig. Es gibt mehr Angebot als Nachfrage. Viele Musiker machen sich gar nicht klar, was alles auf den Markt drängt. Daher wird die Situation für junge Sänger immer schwieriger.“

Denn nicht nur deutsche Absolventen bewerben sich um die Stellen an Opernbühnen, sondern auch solche aus anderen europäischen Ländern, aus Nordamerika oder Asien, berichtet die Bertelsmann Studie. Für sie alle sei Deutschland mit seinen 80 Opernhäusern ein Paradies. Keine rosigen Aussichten also. Doch der positive Effekt liegt für Scharfenberger auf der Hand: „Das durchschnittliche Niveau ist höher, das breite Mittelfeld gut ausgebildet.“ Langweilige Einheitsstimmen also? „Naja, es gibt immer weniger Sänger, die ein individuelles Timbre haben“, meint Scharfenberger. „Die, die wirklich herausragen, fehlen. Mich interessieren ganz einfach keine Sänger, die einfach nur schön singen. Es gibt Sänger, die zwar keine schönen Stimmen haben, aber total schön musizieren. Wenn ich Sänger für Projekte besetze, ist es genau das, was ich suche.“

So ähnlich könnte das Jean-Claude Berrutti, Operndirektor am Theater Trier, glatt unterschreiben. Denn auch er sucht das Individuelle, das Authentische, das Besondere an Sängern, wenn er mal wieder eine Stelle in seinem Ensemble zu vergeben hat. „Es geht nicht darum, schön zu singen, es geht um Stil“, konstatiert er. „Ein Operndirektor sollte daher immer auf der Suche nach neuen Stimmen sein.“ Und das tut der Franzose. Eng vernetzt ist er mit den Konservatorien in Luxemburg und Paris, der Musikhochschule Saarbrücken und der August-Everding Hochschule in München.

Bei den regelmäßigen Vorsingen am Theater achtet er dann zum Beispiel darauf, ob sich der Sänger in einer kurzen Arie in seine Figur hineinversetzen kann, denn: „Ich würde nie einen Sänger engagieren, den ich vorher nicht am Theater gehört habe.“ Um das aktuelle Ensemble zusammenzustellen, hat er sich gemeinsam mit Generalmusikdirektor Jochem Hochstenbach, Intendant Manfred Langner, der künstlerischen Betriebsdirektorin Claudia Gotta und der Musiktheaterdramaturgin Eva Bunzel etwa 50 bis 60 Sänger angehört. „Für uns war die Idee eines europäischen Ensembles wichtig.“ Warum? „Weil das Studium in Frankreich ganz anders als in Deutschland ist. Und in Amerika ist es wieder anders. Man muss sehen, was der andere bietet.“

Als Franzose kann Berrutti die Klagen über mangelnde Engagements an deutschen Theatern nicht so ganz nachvollziehen. „Für uns Ausländer ist Deutschland ein Paradies, weil es hier feste Engagements gibt. In Frankreich etwa wird man nur für eine Produktion engagiert. Ein fester Vertrag ist eine Ausnahme in Europa, ein Geschenk.“

Dieses Geschenk hatte Karl Sibelius, ehemaliger Intendant am Theater Trier, Countertenor Fritz Spengler gemacht. Er engagierte ihn 2015, frisch nach der Ausbildung am Mozarteum in Salzburg, die er mit Auszeichnung bestanden hatte, für das Trierer Theater. Und schon bald avancierte der junge Fritz zum Publikumsliebling. Sein erster fester Vertrag fand 2018 ein jähes Ende, als der neue Intendant Manfred Langner für einen Countertenor keine richtige Verwendung mehr hatte. Seitdem tummelt sich Spengler, der zurück nach Passau zog, auf dem freien Markt (im August singt er beim Kulturfestival Edinburgh Fringe), kehrte jedoch jüngst als Gast für die aktuelle Produktion „Dido und Aenaes“ (letzte Vorstellung am 28. Juni) nach Trier zurück – ohne Ressentiments. „Ich habe es geschafft. Ich bin gut im Geschäft und kann davon leben, nicht zuletzt weil ich viele Kontakte habe“, sagt der 29-Jährige zufrieden. Damit sei er einer der wenigen aus seinem Jahrgang. „Im Studium wird man viel zu wenig vorbereitet auf das wahre Leben. Das erlebt man erst an der Oper.“

Tatsächlich hat die Bertelsmann Studie als größtes Manko festgestellt, dass es eine „mangelhafte Feedbackkultur an den Hochschulen“ gebe. Die jungen Menschen erhielten keine offene und ehrliche Meinung zu ihrer Stimme. „Stimmt!“, sagt Spengler und ergänzt, dass etwas sehr Entscheidendes zu einem Sängerleben gehört. „Willenskraft. Nach einem Auftritt hat man einen Adrenalinschub und dann sitzt man anschließend allein im Hotelzimmer. Das muss man vertragen können. Es ist ein harter Job und man muss eine gute Psyche haben.“

Würde er seinen Beruf guten Gewissens empfehlen? Sein Rat ist kurz und knapp: „Wenn es zwei Dinge gibt, die du gerne machst, mach’ das andere. Es gibt immer mehr gute Sänger auf dem Markt und immer einen, der es für weniger Geld macht.“

 Countertenor Fritz Spengler.

Countertenor Fritz Spengler.

Foto: Andreas Spengler

Tobias Scharfenberger hat Fritz Spengler und das Ensemble Contrapunctus für ein Konzert mit Arien von Georg Friedrich Händel am 1. September in der Kirche St. Laurentius in Longuich engagiert. Wieso Fritz Spengler und keinen renommierten Countertenor? „Fritz hat eine saftige Stimme, ein schönes eigenes und individuelles Timbre. Wenn er in seiner Sahnelage singt, hat er diese Üppigkeit. Seine Stimme ist extrem interessant.“ Dabei hat die Karriere von Fritz Spengler gerade erst begonnen. Für seine Fans wird es spannend zu beobachten, wie er und seine Stimme sich in den nächsten Jahren weiterentwickeln.

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