Interview mit IG Metall-Chef Jörg Hofmann „Die Tarifpolitik macht Wege frei für Reformen“

Trier · Der IG-Metall-Chef sieht die Gewerkschaft für die Herausforderungen gut aufgestellt: „Tarifbindung ist ein Wettbewerbsvorteil.“

 IG-Metall-Chef Jörg Hofmann gratuliert Alfons Mischo zur 70-jährigen Mitgliedschaft. Unter den Gratulanten ist auch Christian Schmitz, IG-Metall-Bevollmächtigter Region Trier (Mitte). Neben vielen anderen wurde Wilhelm Merling für 60 Jahre Mitgliedschaft geehrt. r

IG-Metall-Chef Jörg Hofmann gratuliert Alfons Mischo zur 70-jährigen Mitgliedschaft. Unter den Gratulanten ist auch Christian Schmitz, IG-Metall-Bevollmächtigter Region Trier (Mitte). Neben vielen anderen wurde Wilhelm Merling für 60 Jahre Mitgliedschaft geehrt. r

Foto: TV/Hans Krämer

Hoher Besuch für die IG Metall in der Region. Der Chef der Industriegewerkschaft mit ihren 2,3 Millionen Mitgliedern kam nach Trier, um verdiente Mitglieder zu ehren. Im Vorfeld sprach er mit TV-Redakteur Heribert Waschbüsch.

Willkommen in Trier. Sie haben gerade noch das Karl-Marx-Haus besucht. Wie stehen Sie zu Karl Marx?

HOFMANN Wenn man wie ich Jahrgang 55 ist, dann ist man als politisch interessierter Mensch in seiner Jugend nicht an Karl Marx vorbeigekommen. Insofern begleitet er mein politisches Leben. Es gibt auch heute immer wieder Anlässe darüber nachzudenken, ob es nicht Gedanken von Karl Marx gibt, die für die IG Metall weiter wichtig sind.

Wie hat Ihnen die Ausstellung gefallen?

HOFMANN Die Ausstellung ist sehr informativ und ansprechend. Und für Trier hat sie, neben den Zeugnissen der Römerzeit, große Anziehungskraft.

Sie besuchen heute die IG Metall vor Ort, um Jubilare zu ehren. Was bedeutet das für Sie?

HOFMANN Es ist die Würdigung der Lebensleistung der Kollegen. Sie standen dabei zumeist nicht im Rampenlicht, sondern waren im Betrieb einfach für die Kollegen da. In einem Fall hielt die Mitgliedschaft über 70 Jahre, der Kollege ist 1948 unmittelbar nach dem Krieg in die Gewerkschaft eingetreten. Damit hat er aktiv die Geschichte der Bundesrepublik mitgestaltet: vom Aufräumen der Trümmer über den Wiederaufbau bis heute.

Haben die Jubilare Vorbildcharakter für junge Leute? Wie sieht es mit dem Nachwuchs aus?

HOFMANN Erfreulicherweise gut. Die Zahl unserer Mitglieder wächst in den vergangenen Jahren. Die IG Metall ist jünger und weiblicher geworden und wir konnten mehr höher qualifizierte Beschäftigte gewinnen. Das heißt, unsere Mitgliederstruktur passt sich dem demografischen Wandel in den Betrieben an. Es ist schön, dass wir ältere, langjährige Mitglieder haben, es ist aber im Sinne der Nachhaltigkeit wichtig, dass wir auch bei den Jungen gut ankommen.

Glauben Sie, dass die IG Metall da eine Sonderstellung und weniger Probleme als andere hat?

HOFMANN Das sicher nicht. Wir sind an den Themen dran, die die Gesellschaft weit über die Gewerkschaft hinaus bewegen. Nehmen sie beispielsweise die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Und wir setzen auf Beteiligung der Belegschaft. Das ist für uns ein Erfolgsrezept.

Die hohen Lohnforderungen stehen also nicht mehr so im Vordergrund? Ist das der zukünftige Weg?

HOFMANN In der Vergangenheit waren humane Arbeitsbedingungen immer ein zentrales Thema. In den 70er Jahren wurde das von den Gewerkschaften und der Politik entschieden aufgegriffen. Dann gab es auch mal Zeiten, in denen die Humanisierung der Arbeit nicht im Vordergrund stand. Doch seit der Jahrtausendwende ist das wieder anders. Das fing an mit der längst überfälligen Beseitigung der Unterschiede von Arbeitnehmern und Angestellten. Dann haben wir die Altersteilzeit, die Bildungsteilzeit oder auch die Leiharbeit zum Tarifthema gemacht. Und unsere letzte Tarifrunde Anfang dieses Jahres zeigt: Die IG Metall kann auch Solidarität herstellen, wenn es um Fragen wie Vereinbarkeit geht. Das sind wichtige Forderungen, die in die Zeit passen.

Wie fühlen Sie sich derzeit von der Politik begleitet? Eine leichtere Rückkehr von Teilzeit in Vollzeit wird nun von Bundesarbeitsminister Heil aufgegriffen.

HOFMANN Das ist überfällig. Was jetzt im Kabinett beschlossen wurde, bringt ein neues Modell ins Spiel, das wir vor Monaten ähnlich – an einigen Stellen auch besser – in der Metall- und Elektrobranche vereinbart haben. Wir haben in der Vergangenheit oft über unsere Tarifverträge den Weg frei gemacht für sozialpolitische Reformen – sei es die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, das Recht auf Urlaub, der besondere Kündigungsschutz auch für Ältere. Wenn es mit der Kraft der Gewerkschaften gelingt, etwas mit den Arbeitgebern zu vereinbaren, dann kann in der Politik keine Veto-Position mehr eingenommen werden.

Viele Unternehmen sind – auch bei uns in der Region – nicht in der Tarifbindung.

HOFMANN Wir haben in den letzten zehn Jahren in der Metall- und Elektrobranche Stabilität in der Tarifbindung. Das konnten wir dadurch erreichen, dass wir kontrollierte Öffnungen im Tarifvertrag geschaffen haben, die genutzt werden können, wenn Beschäftigung gesichert oder aufgebaut wird. Zwischenzeitlich ist das Thema Tarifbindung – wenn ich beispielsweise Handwerksbetriebe sehe – ein geeignetes Mittel, um sich als attraktiver Arbeitgeber darzustellen. Wir haben im Handwerk die höchste Tarifbindung mit der IG Metall seit Jahrzehnten. Und bei dem demografischen Wandel des Arbeitsmarktes, ist die Frage gesicherter, attraktiver Arbeitsplätze immer wichtiger, will man qualifizierte Kräfte bekommen.

Wie groß ist die Gefahr in der für Sie so wichtigen Autobranche? Auf der einen Seite Verkaufsrekorde, auf der anderen Seite der Dieselskandal ...

HOFMANN Dieser Dieselskandal und der Betrug sind nicht zu entschuldigen. Durch die hohen Strafzahlungen geht den Unternehmen Innovationskraft verloren. Und der Wettbewerb, gerade aus China, ist immens hart.

Durch die E-Mobilität wären in Deutschland Zehntausende Jobs gefährdet. Können Sie etwas dagegen tun?

HOFMANN Wir haben gerade eine Studie vorgestellt, die wir zusammen mit Herstellern und Zulieferern angestoßen haben. Demnach müssen bis zu 100 000 Menschen in der Branche damit rechnen, in zwölf Jahren keinen oder einen anderen Job zu haben. Da stellt sich wahrlich die Frage, was zu tun ist. Die Aufgabe haben zunächst die Arbeitgeber. Was tun sie in Sachen Personalentwicklung und Qualifizierung? Es entstehen ja auch neue Jobs. Aber entstehen die bei uns oder nur in Südostasien oder Osteuropa, wenn es beispielsweise um Batteriezellen geht. Und: Entstehen Billigjobs oder ordentlich bezahlte? Das sind riesige Herausforderungen. Die sind aber zu bewältigen, wenn die Transformation richtig flankiert wird. Bei großen Brüchen muss die Politik den Strukturwandel begleiten. Unsicherheit, Kontrollverlust und Angst vor der Zukunft, die viele Menschen verspüren, verbinden sich in dem jetzigen politischen Umfeld zu einer teuflischen Mixtur, die Populisten schnell aufgreifen und für sich nutzen. Wir nehmen die Transformation sehr ernst. Es braucht aber hier auch ganz klare Zeichen von der Politik.             Heribert Waschbüsch

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