Soziales Fordern und nicht fördern? - Kritik an staatlicher Beteiligung zum Kita-Ausbau

Speicher/Daleiden · Der Ausbau von Kindertagesstätten belastet die Städte und Dörfer im Eifelkreis. Kritiker werfen Land und Bund vor, sich zu wenig an den Kosten zu beteiligen, die sie durch neues Recht geschaffen hatten. Neue Gesetzesvorhaben sorgen derweil für weiteren Ärger.

 In Speicher entsteht derzeit die größte Kita im Kreis. Die Kosten tragen vor allem die Stadt und die umliegenden Gemeinden. 

In Speicher entsteht derzeit die größte Kita im Kreis. Die Kosten tragen vor allem die Stadt und die umliegenden Gemeinden. 

Foto: TV/Christian Altmayer

2500 Quadratmeter misst der Block hinter dem Bauzaun. Das Gebäude im Speicherer Schulzentrum ist von außen fertig. Wer derzeit durch eins der Dutzenden Fenster schaut, sieht die Bauarbeiter drinnen aber noch arbeiten. Mit dem vielen Glas und Beton erinnert der Klotz an ein modernes Bürogebäude. Bald sollen hier aber Kinder toben.

Es ist nicht irgendeine Kindertagesstätte, die hier in Speicher entsteht, sondern die größte im Eifelkreis Bitburg-Prüm. Elf Gruppen soll die Einrichtung beherbergen, Hunderte Mädchen und Jungs aufnehmen. Der Bau ist nötig, weil in Zukunft einige Kitaplätze in der Töpferstadt fehlen werden. Und nicht nur dort.

In Bitburg ist der Bau einer  ebensogroßen Tagesstätte  geplant. Vielerorts werden außerdem bestehende Anlagen erweitert – etwa in Wißmannsdorf und Bickendorf (Bitburger Land) oder in Daleiden (VG Arzfeld). Doch warum sind all diese Einrichtungen plötzlich zu klein, wo doch hierzulande immer weniger Kinder geboren werden?

Das hängt mit der geänderten Gesetzeslage zusammen. Seit 2010 haben rheinland-pfälzische Mütter und Väter einen Rechtsanspruch auf einen kostenfreien Kita-Platz, den sie einklagen können. Zudem müssen Einrichtungen auch Ganztagsangebote und Plätze für unter Zweijährige vorhalten.

Es gibt dadurch zwar nicht mehr Kinder in der Eifel, wohl aber mehr, die betreut werden müssen. Im Kreis beaufsichtigt und fördert ein Erzieher inzwischen im Schnitt 8,4 Kinder. 7,5 pro Mitarbeiter hält die Bertelsmannstiftung für wünschenswert.

Die Baukosten Was für die Eltern eine Entlastung sein soll, ist für Kommunen und Ortsgemeinden – auch in der Eifel – eine Belastung. Kitas müssen gebaut oder erweitert werden, Erzieherstellen aufgestockt. Die Kosten für diesen Strukturwandel sind enorm. Und Zuschüsse decken die Ausgaben nicht annähernd. Zum Vergleich: Der Kreis hat in den vergangenen fünf Jahren 2,4 Millionen Euro in den Kitaausbau investiert. Gut das Doppelte kostet aber allein die Riesenkita in Speicher.

In Irrel (VG Südeifel) entsteht derzeit ein ebensoteurer Bau. Laut VG-Bürgermeister Moritz Petry (CDU) müssen die umliegenden Gemeinden diesen zu 90 Prozent finanzieren. Insgesamt sagt er, seien die Unterstützungen für Baukosten „marginal“. Er sieht den Bund und das Land in der Pflicht. Die forderten schließlich längere Betreuungszeiten, kostenfreie Plätze und Verpflegung in kommunalen und kirchlichen Kitas ein.  Bislang zahlten aber die ohnehin teils hochverschuldeten Ortsgemeinden.

Das Preisleistungsverhältnis stimmt dabei nicht immer: So muss das Dorf Philippsheim 100 000 Euro aufwenden, um zwei Kinder in die neue Speicherer Kita schicken zu dürfen. Ähnlich sieht es in Affler (VG Südeifel) aus. Mit 30 000 Euro soll sich der 30-Seelen-Ort am Ausbau der Kita in Daleiden beteiligen, obwohl im Dorf nur ein Kind wohnt, das die Einrichtung besucht.

Es sind solche Fälle, die Bürgermeister fast aller Verbandsgemeinden im Kreis aufregen. Der Tenor: Land und Bund fordern bei der Kinderbetreung zu viel und fördern zu wenig. „Die Ortsgemeinden kommen an und über ihre Grenze der finanziellen Belastbarkeit“, sagt Moritz Petry. Andreas Kruppert, Parteifreund und Kollege aus Arzfeld, sagt: „Die Ausbau- und Erweiterungskosten überfordern die Kommunen massiv. Sie verschulden sich teilweise auf Jahrzehnte.“ Eine Sprecherin der VG Bitburger Land pflichtet den beiden bei: „Bei Investitionen zum Ausbau der Tagesstätten und der Einrichtung neuer Gruppen besteht, insbesondere seitens der Ortsgemeinden, die Erwartung, dass Bund und Land sich deutlich stärker als bisher an den massiven Kosten beteiligen.“ In der VG Speicher hält man höhere Landeszuschüsse ebenfalls für „hilfreich“. Einzig aus der VG Prüm und Bitburg sind keine Klagen zu hören. „Da es hier um unsere Kinder und damit unsere Zukunft geht, wollen wir nicht jammern“, sagt Stadtsprecher Werner Krämer.

Die Personalkosten In Zukunft wird sich die Kinderbetreuung aber wohl noch weiter verändern, viele befürchten: verteuern. Der Bund will bis 2022 zwar 5,5 Milliarden Euro in Tagesstätten investieren. Dafür sollen die Einrichtungen aber noch elternfreundlicher werden, die Öffnungszeiten länger, die Ausstattung besser.

Auch die rheinland-pfälzische Bildungsministerin Stefanie Hubig (SPD) hat einen neuen Gesetzesentwurf erarbeitet. Wird der beschlossen, sollen Müttern und Vätern weitergehende Ansprüche zustehen: etwa darauf ihre Kinder sieben Stunden am Stück betreuen zu lassen. Derzeit gibt es in vielen Kitas eine Mittagspause, die berufstätigen Eltern nicht zupasskommt. Die soll künftig wegfallen. Die Folge, sagen Kritiker, etwa von der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft: die Arbeitsbelastung der Erzieher wird steigen. Langfristig rechnen die Kreise damit, dass sie mehr Personal einstellen müssen.So sich denn welches findet. In anderen Regionen Deutschlands gibt bereits einen Erziehermangel.

Davon könne rund um Bitburg und Prüm allerdings noch keine Rede sein, sagt ein Sprecher der Kreisverwaltung. Das bestätigen auch Mitarbeiter der Verbandsgemeinden. Probleme gibt es offenbar nur in der Stadt Bitburg. „Durch die veränderten gesetzlichen Voraussetzungen ist ein erhöhter Personalbedarf entstanden, den der vorhandene Arbeitsmarkt nicht ohne weiteres abfangen kann“, schreibt Stadtsprecher Werner Krämer.

Ob die Erzieher bald auch andernorts fehlen werden? Schon jetzt, sagen die Bürgermeister der VGs Arzfeld und Südeifel, gebe es eine Fluktuation der Fachkräfte gen Luxemburg. Angelockt würden sie durch bessere Verdienstmöglichkeiten im Großherzogtum. Zugute komme der Region aber, nach Angaben eines Sprechers der VG Prüm, die Berufsbildende Schule in der Abteistadt, in der viele Erzieher ihre Ausbildung absolvierten.

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