Geschichte Als eine Anrede für Heiterkeit sorgte

Bernkastel-Wittlich · Ein Blick in die politische Geschichte vor 100 Jahren: Trotz des neugewonnenen Frauenwahlrechts gab es eine Lokalpolitik ohne Frauen in der Weimarer Zeit.

 100 Jahre Frauenwahlrecht: Die Fotos zeigen die SPD-Frauen der Nationalversammlung in der Weimarer Nationalversammlung am 1. Juni 1919 mit Elisabeth Röhl (zweite Reihe, ganz links) und Maria Juchaz (sitzend, Dritte von rechts) sowie die Einladung zu einer Frauenversammlung in Wittlich (rechts unten) und ein Werbeplakat, das sich an Frauen richtet mit dem Aufruf, von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen. 

100 Jahre Frauenwahlrecht: Die Fotos zeigen die SPD-Frauen der Nationalversammlung in der Weimarer Nationalversammlung am 1. Juni 1919 mit Elisabeth Röhl (zweite Reihe, ganz links) und Maria Juchaz (sitzend, Dritte von rechts) sowie die Einladung zu einer Frauenversammlung in Wittlich (rechts unten) und ein Werbeplakat, das sich an Frauen richtet mit dem Aufruf, von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen. 

Foto: TV/Horst Ziegenfusz

Der Rat der Volksbeauftragten hatte am 12. November 1918 allen Bürgern ab 20 Jahren – und damit auch den Frauen – das aktive und passive Wahlrecht zuerkannt. Ausüben konnten sie dieses Wahlrecht erstmals wenige Monate später bei der Wahl der Nationalversammlung am 19. Januar 1919, die Anfang Februar 1919 im Weimarer Nationaltheater zu ihrer ersten Plenarsitzung zusammentrat.

Die Einführung des Frauenwahlrechts gehörte seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts zu den wichtigsten Forderungen sowohl der bürgerlichen als auch der sozialistisch-proletarischen Frauenbewegung, wenngleich beide Lager sich in Einzelaspekten unterschiedlich positionierten. Bei der Wahl zur Verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung hatten 308 Wahlkandidatinnen 1310 Männern gegenübergestanden – letztlich konnte nur jede achte Frau ein Mandat erringen, obwohl die Frauen 54 Prozent der Wahlberechtigten ausmachten und mit mehr als 80 Prozent auch von ihrem Wahlrecht Gebrauch gemacht hatten.

Gewählt wurden 37 Frauen, darunter auch Elisabeth Röhl, die Schwester der bekannten sozialdemokratischen Frauenrechtlerin und SPD-Politikerin Marie Juchaz. Als erste Frau sprach Juchaz in der elften Plenarsitzung am 19. Februar 1919 vor einem deutschen Parlament und löste mit ihrer Anrede „Meine Herren und Damen!“ laut Protokoll „Heiterkeit“ aus. Damit war bald Schluss: Die neuen Parlamentarierinnen verschafften sich Respekt, vor allem mit ihren kenntnisreichen Beiträgen zur Sozial- und Familienpolitik, die oft auch rhetorisch beeindruckend vorgetragen wurden.

Elisabeth Röhl aus Köln war eine der 19 Abgeordneten der SPD. Die Wittlicher SPD-Ortsgruppe, die sich im August 1919 gegründet hatte (der TV berichtete), lud sie ein als Rednerin einer „Frauen-Versammlung“, die für den Montagabend des 17. Novembers 1919 im Saal der Brauerei Elsen angekündigt wurde. Röhl, gelernte Schneiderin, war Schriftleiterin der Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“ und Kandidatin für den Reichstag, der im Sommer 1920 zu wählen war.

 Die Wittlicher SPD hatte gezielt eingeladen, und zwar „alle Dienstmädchen, Jungfern, Stützen, Kindermädchen, Haushälterinnen, Putz- und Waschfrauen, überhaupt alle Hausangestellten und die Hausfrauen“. Diese Klientel, also lohnabhängige und von Bildung weitgehend ausgeschlossene Frauen, gab es in Wittlich reichlich. Ob das Wittlicher Kreisblatt – zentrumsnah wie das ab 1922 erscheinende Wittlicher Tageblatt – die SPD-Veranstaltung bewusst boykottiert hat, lässt sich nicht mehr feststellen. Tatsache ist aber, dass die Anzeige für die Frauen-Versammlung erst am Dienstag, also mit einem Tag Verspätung, erschienen ist. Dafür gab es weder eine Entschuldigung der Schriftleitung, noch wurde über Ablauf und Redebeiträge der Versammlung selbst – so denn sie überhaupt stattgefunden hat – im  Nachhinein berichtet. Frauen hatten bis dato in der Wittlicher Lokalpolitik ohnehin keine Rolle gespielt, auch wenn zunehmend „Mädchen und Frauen“ eigens zu politischen Versammlungen vor Wahlen eingeladen wurden – etwa im Dezember 1919 durch die Zentrumspartei und ein Jahr später durch die Deutsche Volkspartei (DVP).

Zumindest eine Frau der Region war schon damals in der Lage, eine politische Versammlung kräftig aufzumischen: Maria Reese aus Lüxem. Auf einer Versammlung des Zentrums vor der Reichstagswahl im Dezember 1924 agitierte Reese nach der Wahlrede des Gastredners Dr. Heß aus Koblenz derart, dass die Zeitung ihren Namen lieber nicht druckte, sondern zum Gegenschlag ausholte: Eine Vertreterin des Kommunismus habe mit demagogischen Rednermitteln die Zentrumspolitik und ihre Vertreter angriffen. Für die spätere Reichstagsabgeordnete Reese, zum damaligen Zeitpunkt noch Redakteurin bei der sozialdemokratischen Volkswacht in Trier, war die Zentrums-Versammlung offenbar eine ideale Bühne, sich für weitere politische Auseinandersetzungen auszuprobieren, zumal sie die Wittlicher Verhältnisse gut kannte.

Immerhin gehörten dem erweiterten Zentrumsvorstand im November 1924 neben 14 Männern auch zwei Frauen an: die Lehrerin Barbara Veit, die schon bei der Wahl zur Stadtverordnetenwahl im November 1919 den letzten Platz einer zentrumsnahen Liste innehatte, und die Näherin Elisabeth Weinand. Bei den anderen Parteien, die in Wittlich in der Weimarer Republik ohnehin nur eine Nebenrolle spielten, sah es noch dürftiger aus – hier tauchen Frauen nicht einmal auf Wahllisten auf.

Das sollte sich erst nach 1945 ändern. Paula Teusch aus Wittlich, Hausfrau und Frauenreferentin der KPD-Ortsgruppe, kandidierte für den Kreistag; andere Frauen wie Franziska Berehts (CDU) und Irmgard Gusovius (FDP) wurden sogar gewählt. Ihnen und weiteren politisch engagierten Frauen ist eine Wanderausstellung der Gleichstellungsbeauftragten im Landkreis Bernkastel-Wittlich und des Landfrauenverbandes gewidmet. Termine (siehe Info).

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